In der Grossbuchhandlung [4]

Mein Praktikum ist zu Ende. Und ich glaube fast, ich hatte einen Lieblingskunden. In der Grossbuchhandlung ist es einfacher, Kundinnen und Kunden gleich zu behandeln, weil man sie viel weniger gut kennt, als das in der Klein- oder Fachbuchhandlung der Fall ist. Aber ganz neutral ist man ja nie.
Mein Lieblingskunde war ein knapp dreissigjähriger Mann, der eine Nachholbildung in einer Handelsschule machte. Er erzählte, er habe Probleme im Fach Deutsch (es war jedoch ein Muttersprachler) und die Lehrerin habe ihm deshalb nahe gelegt, pro Woche ein Taschenbuch zu lesen. Er habe vorher nie mehr als zwei Seiten auf einmal gelesen und er brauche im Moment noch fast einen Monat dazu. Aber er lasse sich jetzt immer in der Buchhandlung beraten.
Ich freute mich ehrlich über diesen Entschluss und erfuhr, dass er bis jetzt zwei Krimis auf Buchhändlerinnen-Empfehlungen gelesen hatte. Einer war wunder-, der andere furchtbar gewesen. Vom Furchtbaren hätte kaum verstanden worum es ging, geschweige denn erfahren, wer der Bösewicht gewesen sei, obwohl er extra das ganze dumme Buch durchgelesen hätte.
Ich hatte die beiden Titel am Lager, kannte sie aber nur vom Hören. Sie unterschieden sie sich hauptsächlich in dem, was man – streitbar – „literarisches Niveau“ nennt.
Das sind Idealfälle der Beratung. Wenn ein Mensch die Hilfe wirklich sucht, etwas zu seinem Lesegeschmack sagen kann und willens ist, ein guter Kunde zu werden. (Was viele Verkäuferinnen und Verkäufer wissen, aber immer wieder vergessen: Ein guter Kunde kauft nicht per Definition viel, es kann ebensogut einer sein, der viel von dem ihm zur Verfügung stehenden Geld bei einem ausgibt, auch wenn es wenig ist.)
Ich machte dem Kunden eine Skala von 1-10. Der in seinen Augen unleserliche Krimi war die 10, der, den er gemocht hatte, die 5. Ich legte ihm vier Empfehlungen raus. Ich kennzeichnete die Krimis je nach literarischem Niveau und Aufklärungsgrad mit den Zahlen 5-8 (Pos-it). Er fragte, weshalb es keine 4 dabei hätte? Ich antwortete, dass der Abstieg ja wohl keine Option sei, was ihn zum Lachen brachte. Er kaufte die 5 und dazu noch die 6. Die 7 und meinen Namen kritzelte er hinten auf einen Kassenzettel (obwohl ich ihm gesagt hatte, ich sei im neuen Jahr dann nicht mehr da).
Ich wünschte Glück bei der Handelsschule und Freude an der Lektüre und er eilte – mehrmals dankend – von dannen.

2 Gedanken zu „In der Grossbuchhandlung [4]“

  1. Hach, solch Menschen finde ich immer wieder klasse. Jene die nicht lieblos daherlabern sondern denen wirklich etwas am Kunden liegt.
    (und die idee mit den Post-its ist super!)

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