Engagierte Vermutungen

Ich verfolge eher fasziniert als schockiert, wie Menschen, die die Welt um sich herum verbessern möchten, der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Noch sind es weniger einzelne, die schlecht gemacht werden, viel mehr sind es Wörter und Wendungen, die den persönlichen Einsatz als solchen zum Witz stempeln.
Wir haben diese Mode willig aus Deutschland importiert. Ich möchte mich nicht zu lange mit den Gründen aufhalten, doch sogar ich habe verstanden, dass unter anderem Verblendung dazu geführt hat. Zusammenleben klappt nicht einfach von selber und diese Tatsache zu ignorieren, hat sich noch nie als besonders weitsichtig erwiesen.
Wie treue Mitlesende wissen, rede ich Probleme nicht schön. Aber ich mag es auch nicht zu kompliziert machen und wiederhole oft das selbe: Die Qualität unserer Volksschulen ist ungenügend (sowohl Deutschland wie die Schweiz haben sich ihren PISA-Schock redlich verdient) und die Anpassung von Migrantinnen und Migranten an unsere Regeln ist eine Bedingung, auch wenn die Bewertung des Integrationsniveaus eine Herausforderung ist.
Mit Aufkommen der „Political Correctness“ konnte sich Lorbeeren holen, wer gerade diese beiden Problemfelder durch die rosarote Brille betrachtete und sich über einen Schritt nach vorne freute, auch wenn’s zwei zurückging. Logisch und richtig, dass die Reaktion darauf nicht ausblieb, nur leider fand sie kaum auf das politische Parkett, welches sich Leute teilten, die soziale Gerechtigkeit entweder gar nicht in ihrem Wortschatz oder eben in Form der rosaroten Brille auf hatten. So brach sich die Pauschalpolemik erfolgreich Bahn. Unterstützt von der „Abgrenzung“, der von Büchern und Therapien empfohlenen Abkehr vom „Helfer-Syndrom“ und dem Wunsch nach Befreiung (von Parteienmief und Vereinsmeierei), avancierten die beiden absolut positiv besetzten Wörter „gut“ und „Mensch“ in Kombination zum Schimpfwort.
Ich hörte „Gutmensch“ erstmals von Eike Gramss, es muss Anfang der Neunzigerjahre gewesen sein. Er war noch nicht lange Intendant in Bern, als er die Bezeichnung in der Buchhandlung benutzte, nebenbei zwar, aber eindeutig negativ. Ich erinnere mich noch, dass ich mich gefragt habe, warum er nicht den guten alten „Weltverbesserer“ bemüht?
Mir fallen neue Wörter schnell auf. Gerade wenn sie von den an Eloquenz überlegenen Deutschen kommen, beobachte ich gerne ihren Weg in unsere Münder. Beim „Gutmenschen“ hat es gedauert. Aber dafür war er effizient genug, die „Multikultur“ zu integrieren.
Mein neustes Beispiel kommt aus dem „notebook“, einer Beilage zu der von mir sehr geschätzen und abonnierten Zeitschrift „kult“. „notebook“ funktioniert wie ein Offline-Gemeinschaftsblog, in dem verschiedene Leute sich zum Tage äussern. Ende Monat wird das dann als Rückblick gedruckt. Auflage 30’000 Exemplare, was für unsere Verhältnisse ganz ordentlich ist. Urs Meier schreibt in „notebook 3“:

Kindererziehung im Iran: Heute habe ich den schlimmsten Bericht seit meiner Geburt per Presse-Fotodoku zur Kenntnis nehmen müssen: Im Iran wird ein achtjähriger Junge auf den Boden gezwungen, muss seinen Arm ausstrecken, um ihn von einem Auto überfahren zu lassen. Ein Mann mit Mikrofon kündigt die Folter dem gnädigen Publikum an. Der Junge hat blanke Angst in den Augen, schreit vor Schmerz, der Wagen fährt über seinen Arm, hält an… An alle Multikulti-Gutmenschen: Nein, versucht’s gar nicht. Mir zu erklären, mich zu beschwichtigen. Könnte ja sein, dass das so sein müsse… (…)

Meine Vermutung ist nun, dass das nächste Wort, das ins Gegenteil verkehrt wird, „Engagement“ sein wird. Engagierte Menschen werden die Neogutmenschen des Jahrzehnts werden! Und Henryk Broder war schon mal so nett, mich zu bestätigen. Bei seiner Filmbesprechung „Der ewige Gute“ hat er seine Pointe extra dafür richtig weit hergeholt:

Nun muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden – dass der Film tatsächlich in den Schulen gezeigt wird, als Ersatz für den Sozialkundeunterricht. Denn es gibt nur eines, das schlimmer ist als engagierte Filmemacher: engagierte Lehrer.

Eigentlich verstehe ich mich nicht schlecht darauf, mit dem Lehrerbashing in der Presse umzugehen, als Buchhändlerin und Gutmensch habe ich ja schon ein wenig Übung. Hätte ich jedes Mal einen Buchstaben aus meiner Tastatur gebissen, wenn einer „die Lehrer sollen ihre Hausaufgaben machen“ krakeelte, hätt‘ ic l¨ngst k in Buc st b n m r.
Manchmal gelingt mir die Trasformation, ich verblogge den Mist und es gibt mehr Buchstaben anstatt weniger. Ätsch.

6 Gedanken zu „Engagierte Vermutungen“

  1. Schöne Beobachtung. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso „Gutmensch“ als Beleidigung aufgefasst wird. Im Prinzip rührt es mich aber nicht: Wenn mich jemand als Gutmensch bezeichnet, dann nehme ich das als Kompliment. Mit einem umgewerteten „Engagement“ hätte ich schon mehr Probleme…
    Und Neogutmensch ist gut. 🙂

  2. Neogutmensch könnte man ja auch als Anspielung auf Neo…. Nein, ich will nicht polemisieren.
    Irgendwie sind wir jetzt wieder beim Thema Sprache: Wie werden wir mit der Sprache der dinglichen und der sozialen Wirklichkeit gerecht? Wer bestimmt die Bedeutungen? Wer hat Deutungsmacht über die Wörter? Zieht die NZZ über Wikipedia her, weil Wikipedia für eine Demokratisierung der Deutungsmacht – bisher ein Hoheitsgebiet der Alten Tante – steht? Alles ganz interessante Fragen.
    Ich finde Blogs sind eine tolle Einrichtung, um über Bedeutungen und Bedeutunsverschiebungen nachzudenken. Denn hier steht die Sprache im Vordergrund, und nicht der (mächtige) Mensch. Danke Tanja!

  3. Ich bin skeptisch, ob man Wörter semantisch aufwerten kann, wikipedia, blogs und demokratische Deutungsmacht hin oder her. „Gutmensch“ wurde vermutlich seit seinem ersten Gebrauch abwertend-ironisch gebraucht, das ist wohl nicht mehr zu ändern, zumal ja mit „guter Mensch“ ein positiver Begriff vorhanden ist. Eine andere Frage ist, ob es den Typus „naiver Mensch, der sich in übersteigerter Weise politischer Korrektheit befleissigt und solches Handlen auch von anderen einfordert“ tatsächlich gibt.
    Zur Abwertung vieler Wörter hat ja nicht zuletzt auch die Political Correctness beigetragen. Bezeichnungen wie „Neger“ oder „Zigeuner“ waren vor nicht allzu langer Zeit relativ neutral, inzwischen kann man sie nicht mehr verwenden. Ein Ersatz hat sich zudem (noch) nicht durchgesetzt. Interessanterweise hat „Jude“ im deutschen Sprachraum (ausgerechnet!) nicht dasselbe Schicksal erlitten, was z.B. im Russischen anders ist: Dort musste man auf den Begriff „Hebräer“ umstellen.

  4. Danke, Hokey! Und der Neogutmensch sollte genau diese Assoziation wecken, Christian. Denn Urs Meier suggeriert nichts Schöneres. Ja, Christoph, der „Gutmensch“ war seit jeher der Depp, anders ist er mir nicht begegnet. Die Political Correctness habe ich ja auch erwähnt, aber das mit dem Russen, die nicht mehr „Jude“ sagen dürfen, habe ich nicht gewusst.
    Plump hätte ich auch fragen können: Wenn nach „gut“ und „Mensch“ auch noch „engagiert“ mit Ignoranz und Zerstörung assoziiert wird – wo soll das bloss enden?

  5. Oh ja! Mir ist aufgefallen, daß die Leute, die gerne abfällig jemanden als „Gutmenschen“ bezeichnen, mir immer unangenehm auffallen als Zyniker. Die alles genau wissen und midleidlos, gnadenlos analysiert haben und Freude nur noch daraus ziehen, sich über andere zu moquieren, die die Welt „noch nicht durchschaut haben“. Gräßlich.
    Andererseits: Ich kriege ebenso die Krätze bei Leuten, die eine anständige Analyse dessen, was ist, immer und absolut verweigern, und die auch noch als Erwachsene felsenfest davon überzeugt sind, daß die Welt ohne Krieg, Folter, Hunger und Gewalt funktionieren würde, wenn nur alle so gut wären wie sie. Alles ist nur eine Frage des guten Willens und des guten Meinens, nicht des Wissens., Streitens und Aushandelns. Meistens lächeln sie als Ersatz für fehlendes Denken. Widersprüche sind böse, ebenso Konflikte und harte Auseinandersetzung und heftige Diskussionen zur Schärfung von Positionen. Wir sollten uns einfach alle lieb haben. Warum will das der Rest der Welt bloß nicht einsehen?
    Für die erstgenannte Gruppe unangenehmer Menschen gibt es einen Begriff.
    Für die eben beschriebene Sorte nicht. Oder weißt Du einen? Manchmal liegt er mir fast auf der Zunge für sie: Der Begriff „G..mensch“. Aber Du hast Recht. Er taugt nicht dafür.

  6. Ja, Lisa Rosa, diese Menschen gibt es auch, darum sage ich ja, der „Gutmensch“ war eine klare Antwort auf einen Missstand, nämlich die Verblendung derer, die der Meinung sind, das Zusammenleben gehe gratis, wenn man nur lange genug lächelt und fest dazu nickt.
    Ich denke, man kann „Gutmensch“ nicht mehr ändern und muss ihn darum auch nicht unbenutzt lassen, der Begriff steht und wird verwendet. Aber leider nicht nur für diese Gruppe, die du beschreibst. Ich brauche manchmal noch „Abnicker“ oder umschreibe halt mit der „rosa Brille“.

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