Vom Dünkel zurück zum Bewusstsein

Vom Redaktionschluss unserer Schulzeitung „Pegasus“ bis zum Versand leide ich immer etwas unter Schreibstau. Die neue Nummer hat das Thema „Standesdünkel und Standesbewusstsein“, weil sich sowohl Lehrerinnen wie auch Buchhändler regelmässig mit dem Überheblichkeitsvorwurf konfrontiert sehen. Auch die Einstellung der Buchausgabe des Brockhaus, die Überlegungen der diesjährigen Lehrabgängerinnen zu ihrem Beruf und die konsternierte Mailnachricht einer Ehemaligen aus den USA, es kenne dort niemand Schiller und Goethe, schienen mir ein guter Anlass für Beiträge zum Thema. Die Onlineversion von „Pegasus“ Nr. 89 erscheint am Montag, ich werde den Link nachreichen. (Nachtrag 19. Mai: Voilà, Pegasus 89 online.)
Aus dem Editorial:

Hin und wieder werde ich auf den Standesdünkel der Buchhändlerinnen angesprochen. Und auf den der Lehrer. Und ich will gar nicht opponieren, das Körnchen Wahrheit ist leicht auszumachen. Auch bei mir.
Standesdünkel kann nur entstehen, wo Standesbewusstsein war. Standesbewusstsein bedeutet Identifikation mit einer Branche, ihren Produkten und Dienstleistungen.
Doch in Berufen, in denen es an Anerkennung mangelt, ist es schwierig, bescheiden zu bleiben; Selbstlob liegt nahe. Ich will damit nicht den Dünkel entschuldigen, sondern zu mehr Wertschätzung für die Leistung anregen, die Menschen im Buchhandel und in der Bildung erbringen.

Ich weiss, die Argumentation beinhaltet zu viele „Wenn“: Wenn der Lehrerberuf wieder angesehener wäre, wenn die Buchhändlerinnen besser bezahlt würden, wenn beide Berufssparten endlich regelmässige Mitarbeitergespräche einführen würden, wenn für gute Produkte in Bildung und Buchwelt auch Geld ausgegeben und nicht immer nur gespart würde etc. etc.
Trotzdem. Ein bisschen mehr Lob kost‘ ja nix. Und ein Anlass lässt sich bestimmt ab und zu finden.

5 Gedanken zu „Vom Dünkel zurück zum Bewusstsein“

  1. genau, gebt den lehrern ihre würde zurück- nicht aufn sockel stellen, einfach nur keine wischputzlappen für meckermentalitäten sein…aber nach der neuen definition bei uns hier- nämlich dass die schüler und deren eltern unsere „kunden“seien, weiß ich nicht, wie das gehen soll…..denn man muss ja dann NUR noch dienstbereit und willfährig sein, sich alles gefallen lassen und „Wie Sie wünschen“ sagen….?
    gruß von S.

  2. Zu meiner Zeit als Azubi im Buchhandel – also als „Stift“, wie das hiess – in den 70ern diskutierte man bereits darüber und handelte das Ganze – wie auch damals üblich – rein soziologisch ab: Es besteht eine Kluft zwischen Anspruch an Wissen und Bescheidwissen und „Gelehrtheit“ und öffentlichem Ansehen des Berufes des/r BuchhändlerIn, das sich u.a. im sehr bescheidenen Lohn ausdrückt.
    Wegen dieser Diskrepanz muss die/der BuchhändlerIn sich manchmal ein wenig oder auch mehr über die andern erheben und erscheint darum als arrogant oder/und dünkelhaft.
    Schliesslich gab es noch eine psychosoziale Auslegung dieser Diskrepanz: die/der BuchhänderIn würde darum vermehrt zu Suchtmitteln wie Alkohol und Nikotin greifen.

  3. Liebe Wildgans: Ich habe mit der Kunden-Definition (die bei uns auch hoch gehalten wird, jedenfalls solange es nichts kostet) weniger Mühe, Kunden sind für mich seit Lehrzeiten Gäste. Gäste werden durchaus hofiert, aber auch sie haben Lust und Verpflichtung sich höflich zu benehmen, weil das zu ihrem Auftritt gehört und sie nur das weiterbringt. Allerdings lässt sich das in einer Berufsfaschschule viel eher so leben, als in einer Volksschule, die eine Verordnung, nämlich die Schulpflicht, durchzusetzten hat und erst noch viel pädagogische Mängel ausbaden muss. Aber auch bei uns ist es schwierig, jedenfalls am Anfang und wegen der Sparerei.
    Lieber Ernesto: Ich musste sehr lachen über die soziologische und ganz besonders dei psychosoziale Auslegung. Vielen Dank! Nachdenklich gestimmt hat mich, dass es schon so lange ein Thema ist im Buchhandel, das wusst ich gar nicht. In meinem Lehrgeschäft war es normal, dass der Lehrmeister überheblich war, auch zur Kundschaft. (Danke für das Buch, bin dran 😉

  4. Schiller’s Amerika. Wer kennt Kannt und was machen Bildungslücken und Standesdünkel in der Sommerzeit. I am doing it for the books.
    Der Grössenwahn und dessen Kehrseite, der Minderwertigkeitskomplex, gehen Hand in Hand, nicht nur bei Freud, sondern auch in der Buchhändlerbranche und im Lehrerberuf.
    Würden Buchhändler Kant und Schiller etwas besser kennen, müssten sie ihre Profilierungssüchte nicht in den vorauseilenden servilen Gehorsam gegenüber Kundenkönigen ausleben, in dem sie ihren Ehrgeiz in Marginalien investieren.
    Standesdünkel hat etwas mit bornierter Selbstüberschätzung zu tun, die ja von Luigi Malerba gekonnt ironisiert wurde. Schiller ist in Amerika beim weltbekannten Germanisten Walter Hinderer übrigens in guten Händen: „Von der Idee des Menschen. Über Friedrich Schiller“. Kann man an einem lauen Sommerabend kreativ ausweiten auf den Themenkomplex „Von der Idee des Buchhändlers“.
    http://www.persephonebooks.co.uk
    http://www.humboldt-foundation.de/kosmos/titel/2007_013.htm

  5. Die Harausforderung des Buchhändlers ist eben gerade, dass er oft überhaupt keinen „vorauseilenden servilen Gehorsam“ und schon gar nicht gegenüber „Kundenkönigen“ ausleben will, sondern damit seine liebe Mühe hat. Da der Kundschaft heutzutage neben der Buchhandlung zahlreiche Alternativen offen stehen, erscheint mir das persönlich und rein ökonomisch nicht besonders klug. Aber neben meiner persönlichen Meinung ist es meine im Lehrplan definierte Aufgabe, den Lernenden Dienstleistung als etwas Gutes und Lohnendes zu vermitteln – und das ist ein bisweilen hartes Brot.
    Dass Buchhänder/innen besonders anfällig für vorauseilenden Gehorsam wären, wär mir nie aufgefallen, ganz besonders nicht bei den hunderzwanzig Azubis, an welche ich mich noch einigermassen gut erinnern kann.
    Meine These ist und bleibt, dass Buchhändler sich selber weniger laut loben müssten, wenn sie Anerkennung in Wort und Geld bekämen.
    Meine These ist jedoch – seufz – nicht neu, wie ich dem belesenen und verkäuferisch aktiven Buchhändler Ernesto gerne glaube.

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