Auffahrtsbrücke chronologisch

Dieses Jahr hatte ich meine erste Auffahrtsbrücke. Die vorherigen 25 Jahre war ich dann entweder im Verkauf, an Büchertischen, als Prüfungsexpertin an Aufgabenstellungen oder als Begleiterin von Kulturreisen im Einsatz. Ich hätte auch heuer arbeiten müssen (Budget), aber daraus wurde nicht viel, weil:
Ich nahm Auffahrt beim Wort fuhr mit meinem neuen Rennvelo auf den Längenberg, wo ich jeweils wunderbare Aussicht, die Gräber meiner verstorbenen Familienmitglieder und himmlische Pâtisserie aus meiner Verwandtschaft wie auch ebendiese vorfinde. Da ich noch nicht besonders zackig bremsen und schalten kann, waren Steigung und Gefälle sowie zahlreiche männlichen Überholer die perfekte Übung für meine Balance.
Am Freitag dann besuchte ich die Solothurner Literaturtage; erstmals seit ungefähr 20 Jahren. Als ich zum letzten Mal da war, durfte ein Mann einer Frau noch ins Wort fallen mit Sätzen wie „das interessiert hier und heute niemanden“. Ich erinnere mich noch genau, wer es zu wem gesagt hat, aber da sie beide noch gesund und munter sind, lasse ich die Details. Ob es heute besser wäre, weiss ich nicht, denn das Konzept ist nicht mehr, dass das Publikum mitdiskutiert. Aber es war wunderbar, wieder einmal einfach als Buchhändlerin unterwegs zu sein (Bild4). Ein bisschen Gezwitscher für den Pegasus gab’s natürlich schon. Highlights: Batthyany und Gomringer.
Gestern habe ich nach erfolglosen Versuchen meine Balkonpflanzen und meine Bücher-und-DVD-Stapel zurechtzurücken etwas Orientierung in der Berner Altstadt gefunden. Da spielte ich Federball und entschied zusammen mit dem Mann, vorläufig kein Vintage-Sideboard zu kaufen, sondern erstmal Apfelkisten (für die Medienstapel). Am Abend bin ich erneut mit dem orangen Bähndli durch die grünen Wiesen nach Solothurn gereist, dieses Mal ins Laientheater Mausefalle, wo eine Freundin auftrat. Ich bin so froh, dass immer noch so viel Theater gespielt wird! Und jedes Mal sehr beeindruckt von dem riesigen Einsatz, den all diese Leute neben ihren ganz anderen Aufgaben als Informatiker, Anwältinnen, Plattenleger oder Lehrer oder Schülerinnen für so ein Laienstück leisten.
Heute widmete ich mich gern den ungelesenen Zeitungen, der ungewaschenen Wäsche und natürlich meiner Mutter, die ich in ihrem blühenden Garten besuchte.

Hinter den Kulissen: Prüfungsvorbereitung

Jedem anerkannten Beruf in der Schweiz liegen eine Bildungsverordnung und ein Bildungsplan zu Grunde, auch dem Buchhandelsberuf. Dem Bildungsplan folgend machen die Berufsfachschulen ihre internen Lehrpläne. Am Ende ist die Prüfung nach Plan und Verordnung – alles ist schlüssig und gut erklärbar, auch neuen Azubis und deren Eltern oder enervierten Kandidaten und deren Berufsbildnern.
Aber bis Prüfungen stattfinden können, sind etliche Schritte nötig, an unserer Schule sind wir gut ein halbes Jahr administrativ und inhaltlich damit beschäftigt. Im Bereich „Handelsobjekte“ (Leitziel 4 des Bildungsplanes) wird beispielsweise mündlich geprüft, was die Kandidatinnen und Kandidaten über die Herstellung von Büchern wissen. Die Fachverantwortliche Buchhandel stellt dafür rechtzeitig, nämlich jetzt, das Material zusammen. Das hat sie schon:

  • Bilderbücher
  • Einen grossen Fotobildband
  • Diverse Landkarten in verschiedener Druck- und Papierqualität und in diversen Massstäben
  • Einige neue, gebundene Bücher
  • Und das ist, wonach wir Fachlehrpersonen bei uns zu Hause noch suchen:

  • Flyer und Postkarten oder Buchzeichen mit nur einer oder zwei Farben
  • Klappenbroschur
  • Mindestens zwei fadengeheftete Bücher, möglichst eins davon als Broschur
  • Gefaltete Printprodukte, darunter eines gerillt
  • Ein gestanztes Buch oder eines mit gestanztem Umschlag
  • Ein Buch mit Leinen oder Ledereinband, ein Halbband
  • Und in der eigenen Bibliothek gibt es halt auch Bücher, die zwar viele Kriterien vereinen, die man aber partout nicht aus der Hand geben will:
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    Die Zeit vergeht – echt jetzt

    Das Kind ist am Wochenende weiter gezogen. Und ich frage mich, ob ich diesen meinen Lebensabschnitt einfach als beendet betrachten soll oder ihn sogar als vollendet bezeichnen darf? Schon mit der Geburt eines Kindes beginnt sein Loslassen, Eltern sollten daran gewöhnt sein. Aber so ist es nicht ganz.
    Wir haben allen Grund, uns mit dem Kind zu freuen, das meiste läuft rund und er braucht uns nicht mehr. Das von ihm angebrachte Plakat an der ehemaligen Zimmertür habe ich erst nach dem Auszug entdeckt und mit zwei lachenden Augen gelesen (s. letztes Bild). Die freundlich winkenden Eltern in der Story sind ok.
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    Karfreitagsgedanken

    Am 13. März wurde ich fertig mit dem Lesen der Portraits der Menschen, die am 13. November in Paris ihr Leben verloren haben. Nun gibt es wohl bald wieder neue Gedenkseiten, es ist einfach furchtbar. Aber diese Art, Einzelner zu gedenken ist eine wirksame Reaktion auf die Kriegsrhetorik mancher Politiker. Europa ist nicht im Krieg, Europa verfolgt Mörder und verurteilt sie für jeden einzelnen Mord, jedes abgerissene Bein und jeden Plan zu morden und zu zerstören. Ob als Terrorakt in der Öffentlichkeit oder hinter verschlossener Türe gegen Frauen. Und immer noch ist jeder vor dem Gesetz gleich – danach streben wir und deshalb kreigt jeder einen Anwalt.

    Es fällt jedoch sehr schwer, bei neuen Anschlägen nicht an die vorherigen zu denken, ich sehe immer wieder 9/11 vor mir und die zerrissenen Züge von Madrid, den zerstörten Bus in London – und fühle mich persönlich angegriffen. Ich verstehe gut, dass diese gegen uns gerichtet Aggression von vielen als Planung mit Endziel betrachtet wird. Welche Folgen unsere Betrachtungen und Empfindungen haben, ist dabei die wichtigste Frage. Ich erörtere sie vorzugsweise mit Menschen aus Israel, die das jedoch meist nicht mehr hören mögen und zur Recht misstrauisch sind. Ich habe gerade „Schmerz“ von Shalev gelesen und wieder einige, wenn auch nicht abschliessende Antworten gefunden. Zudem gab es an unserer Schule ein Interview mit der Holocaust-Überlebenden Sara Atzmon, aus deren Antworten ich viel lernen konnte über die Unmöglichkeit, die Dinge, die früher geschehen sind zu lösen von denen, die einem heute widerfahren. (Empfehlenswerter Film für Lehrpersonen: „Holocaust light – gibt es nicht“; Trailer)
    Trotz aller Unbill dieser Welt erlebe ich viele schöne Sachen, wie zum Beispiel die Prüfung einer Schülerinnen-Gruppe über vegane Ernährung.
    Auch sehr gerührt hat mich eine junge Pflegefachfrau, die sich erkundigte, woher die doppelte Verneinung im Deutsch der alten Juden komme („Sie haben uns niemals nicht zu essen gegeben“)? Ich konnte das nicht gut erklären und händigte ihr „Maus“ aus ohne damit zu rechnen, dass sie es lesen würde. Aber sie nahm die Bände sofort zur Hand und las bis sie darüber einschlief und am Morgen weiter bis zu Ende.
    Vieles ist eine Zumutung, aber wir alle sind handlungsfähig. In welchem Sinne, das ist die tägliche Frage.

    #DSInein: Grundwerte und Logistik

    Vorbereitet war ich an diesem Abstimmungssonntag auf 51%. Nach den niederschmetternden Entscheidungen der letzten zehn Jahre rechnete ich eher bei den Befürwortern der Durchsetzungsinitiative damit. Letzte Woche hatte ich bereits überlegt, wie ich anhand von Umberto Ecos hellsichtigem Essay „Urfaschismus“ den peinigenden Schweizer Entscheid hier erklären könnte. Das bleibt mir nun glücklicherweise erspart.
    Ich hatte seitens unserer Lernenden einige Zeichen vernommen, die mich hoffnungsvoll hätten stimmen können. Es wurden Plakate geklebt, Autoren zitiert, es war viel Engagement und Herzblut zu spüren. Aber auch eine gute Informationspolitik der Jugendlichen untereinander konnte ich beobachten. Inhaltlich ebenso wie logistisch. Und darauf kam es an! Aktivistinnen, die am Tag, an dem man spätestens das Abstimmungscouvert einwerfen musste, originelle Online-Mobilisierung machten oder solche, die danach unermüdlich die Öffnungszeiten der Wahllokale pro Gemeinde posteten, sind schwer an diesem Sieg beteiligt.
    Denn der Graben in der Schweiz verläuft unter anderem zwischen denen, die sich bewegen und denen, die an Ort verharren. Und das meine ich durchaus wörtlich. Mein Grossvater (ein finanziell armer Mann vom Lande ohne jegliche Privilegien, verstorben mit einem Minus von CHF 00.85) warnte uns nicht vor Räubern und Mördern, sondern vor Leuten, die immer durch das „gleiche Loch abscheissen“. Fortkommen bestand für ihn auch aus der räumlichen Bewegung, und sei es mit dem geliehen Velo ohne Gangschaltung. Menschen in Bewegung waren vertrauenswürdiger. Unter denen mit Jahrgang 1911 war mein Grossvater mit seinen Mobilitätsratschlägen wohl eher die Ausnahme, aber die Entwicklung gab ihm Recht.
    Heute sind mindestens die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer ständig unterwegs. Abstimmen jedoch ist für die andere Hälfte einfacher. Für Mitglieder von Patchworkfamilien, Mitarbeitende internationaler Konzerne, pendelnde Azubis und Reisende alles Art braucht die Beteiligung an unseren häufigen Wahlen und Abstimmungen ein Quantum Disziplin. Sie müssen ihr Couvert an der einen Adresse, an der sie offiziell gemeldet sind, aus dem Briefkasten holen, die Unterlagen geordnet nach Gemeinde-, Kantons- und eidgenössischer Ebene rechtzeitig ausfüllen und alles bis zu einem spätesten Termin innerhalb der Schweizer Grenze einwerfen (frankiert). Oder sie müssen zu den vorgegebenen Öffnungszeiten am Abstimmungswochenende in der Gemeinde, in der sie stimmberechtigt sind, ins Stimm-, bzw. Wahllokal.
    Auf diesen Umstand muss man – wie dieses Mal geschehen – eingehen. Drum mischt in jeder guten Kampagne auch der Teufel im Detail mit.

    Beziehung versus Beziehung

    Täglich treffe ich viele Entscheidungen für soziale Beziehungen, die gleichzeitig Entscheidungen gegen mein eigenes soziales Netz sind. Das geht wohl den meisten in Menschen-Berufen so.
    Heute zum Beispiel wäre ich gerne der Einladung eines Kollegen ins Haus der Religionen, das bei mir um die Ecke liegt, gefolgt. Ich habe mich aber dagegen entschieden, weil ich Mitarbeitergespräche in einer Weise dokumentieren will, wie es mir in meiner Arbeitszeit nicht möglich ist und in der Folge die Protokolle häufig sonntags schreibe. Dies nicht aus reiner Gewissenhaftigkeit, sondern weil es die Lehre ist, die ich nach 53 solchen Gesprächen und zehn Jahren Führung von Lehrpersonen aus Konflikten gezogen habe.
    Heute war das Abwägen der Beziehungspflege am einen und anderen Ort besonders dialektisch. Gerade findet ein vielversprechendes Symposium zur HIOB-Frage statt, welches mich auch für meine Mitarbeitergespräche interessiert hätte. Leiden ist zunehmend weniger eine existenzielle Erfahrung, keine Prüfung ohne absehbares Ende. Leiden ist eine Herausforderung, die wir mit Sinn und Verstand eigenverantwortlich zu terminieren suchen. Das beschäftigt mich und meine Mitarbeitenden häufig. Bei Unfall, Krankheit und Verlust sind Hadern wie auch Akzeptanz des Schicksals bei jedem Schritt des Wiedereinstieges die wichtigsten Gesprächsthemen.
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    Den roten Faden haben andere

    (Der rote Faden fehlt in meinen Notizen der letzten Wochen. Ich versuche immer wieder, die Notizbücher farblich zu trennen, aber schon nach wenigen Tagen stelle ich die Unmöglichkeit des Vorhabens fest und schreibe Französischvokabeln, To-do-Listen, Geschenkideen und einzelne Sätze aus dem Feuilleton durcheinander ins gleiche Heft. Heute konsultiere ich manchmal den WhatsApp-Verlauf, um überhaut zu wissen, was ich gedacht und gemacht habe und noch zu machen hätte.)
    Nun gibt es zum Glück eine Menge Leute um mich herum, die effizenter sind und an denen ich mich hin und wieder orientieren kann.
    Beispielsweise hat Hanjo mich mit seinem formidablen Typoscript über bloggende Lehrer/innen auf das ZUM-Wiki Lehrerblogs gebracht, welches mir schon gute Dienste leistete. Seine Veränderungen wiederum haben mich dran erinnert, dass auch bei mir solche anstehen: Ich höre nach 17 Jahren auf mit dem Unterrichten. Dies ohne diesen Teil lohnmässig zu ersetzten. Und ohne Illusion Freizeit, denn Zeitfenster in der Schule sind Schwämme, sie werden mit jeder Leerung saugfähiger. Aber ich brauche mehr Zeit für das konzentrierte Arbeiten und weniger Aufgaben gleichzeitig, bei denen es keine Fehlertoleranz gibt. Zum Beispiel vorgestern hatte ich Prüfungs- und Stundenplankorrekturen sowie Testergebniskontrollen der neuen Schulverwaltungssoftware gleichzeitig an einem Arbeitstag, an dem ich auch selber noch unterrichtet habe. Das ist für mich nicht zu schaffen. Wenn ich auch nur eine Räumlichkeit im zukünftigen Stundenplan falsch absegne, entstehen ein Rattenschwanz von Problemen und Arbeiten in anderen Abteilungen. Oder – bliebe es ganz unbemerkt – es steht ein Informatiklehrer im nächsten August in einem Schulzimmer ohne PCs und alle PC-Zimmer in allen sechs Schulhäusern sind besetzt. Wir planen knapp, so sind die Verhältnisse. Von falschen Personaleinsätzen oder mangelhaftem Informationsfluss, die Lehrpersonen dauerhaft beunglücken, gar nicht zu reden… Geschwindigkeit und Präzision schliessen sich meiner Meinung nach bei Arbeiten, die nicht Routine sind, einfach aus.
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    Endlich Schnee

    Der Unterbruch hier ist länger geworden als gedacht, aber das haben Zwangspausen wohl an sich. Bei mir war in vielerlei Hinsicht eine schwierige Zeit und ich habe versucht, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wobei es manchmal nicht ganz einfach ist, herauszufinden, was dazugehört. Ich bin bloss froh, hat es endlich geschneit. Es wirkt weltfremd und berührt mich peinlich, wenn die Schweiz hauptsächlich über Schneemangel klagt und Initiativen lanciert, um Initiativen durchzusetzen.

    Kostbare Momente

    Aus meinem Geburtstagstisch stehen Glückwunschkarten, eine Geburtsanzeige und eine Todesanzeige.
    Wir haben trotz und wegen alledem weitergebacken. Und am Heiligabend auch Responsorien gesungen. In solchen Lebensphasen kommen und gehen meine Kräfte wie Wellen. Alles, was einer klaren Linie folgt, kann ich auch im Wellental bewältigen: Das Backen, Säugling wiegen, Waschen, Singen, Holz spalten.
    Heut‘ Abend hab ich nun die letzten in unserer Kleinfamilienbäckerei gemachten Weihnachtsgüezi zum Verschenken verpackt. Sie sind für ein Team des PZM, dem Arbeitsort vom Kind, welches nun ein Mann ist, der Einblick hat in die Höllen derer, die dem irdischen Leben zu entfliehen suchen.
    Weihnachtsgebäck 2015, Edition für das Kriseninterventionszentrum Münsingen
    Ich wünsche euch allen einen freundlichen Jahresausklang im Kreise naher Menschen. Ich hoffe, ihr habt wie ich an Weihnachten den Vollmond gesehen und euch am schönen Augenblick – verweilte er doch! – erfreut.