Selbst- und Fremdeinschätzung

Schon bald stehen wieder „Unterrichtsbeurteilungen“ an, die so genannt werden, weil die Qualitätssicherung sich gern um naheliegende Bezeichnungen drückt. Auch wenn die Lernenden fair beurteilen und neben kritischen auch nette Sachen hinschreiben, ist leicht zu beweisen, dass es sich um eine Qualifikation der Lehrperson handelt. Und das ist nicht falsch, sondern ebenso logisch wie angemessen, weil der Unterricht ja in erster Linie von der Lehrperson geprägt wird und nicht von sich selber.
Ich weiss nicht, ob es ein Tick oder ein Implantat der Steiner-Schule ist, aber „Phantasie“ gehört in meinen Wortschatz und ist ein durchaus verwendetes Stichwort meines Denkens. Landläufig gilt jedoch eher als phantasielos, wer sich der Phantasie bewusst ist.
Ich bin nicht dieser Ansicht. Vorstellungskraft und Imagination sind beim normalen wie beim emotionalen IQ sehr gefragt, während Phantasie entweder für Spinner reserviert ist oder bitte von selber passieren soll. Weil es einem doch „ganz automatisch“ am Herzen liegt, peinliche Anlässe mit Originalität zu vergolden, Empathie für wunderliche Kinder mit einem einzigen Menue auf ihrer eingebrannten Speisekarte zu empfinden oder das Sexleben einer schläfrigen Partnerschaft mit Ideenreichtum aufzupeppen.
Nun, ich verdanke meiner Phantasie den Erhalt meiner Nerven, einen Grossteil meiner planerischen Fähigkeiten und beidem zusammen meine Erwerbsarbeit. (Zum Glück ist der Mann klausurtechnisch offline, er würde meiner Phantasie wohl eher die neurotischen Attacken zuschreiben.) Bei mir dauert es ziemlich lange, bis ich an Barrieren der Wirklichkeit stosse, weshalb ich mir eine Situation ohne Probleme theatralisch vorstellen kann und auch das zugehörige Drama locker über meine innere Bühne geht.
Warum ich manchen als vorpreschend und provozierend erscheine, ist mir klar. Die Frage, die ich hingegen mein ganzes Leben nie beantworten konnte, ist, warum ich trotz phantastischer Taktik als sachlich und realsitisch gelte.
Aber um die „Unterrichtsbeurteilung“ brauche ich mir im Grunde keine Sorgen zu machen. Das Schöne an der neuen, auf Feed-back trainierten Generation ist ja, dass sie die Urteilsbegründung verlässlich mitliefert.

2 Gedanken zu „Selbst- und Fremdeinschätzung“

  1. Meine Liebe, du kannst vielleicht Phantasie so präzis beschreiben, dass sie real wirkt?!
    Ich werde ja erstmals auch in den Genuss derselbigen Unterrichgtsbeurteilung kommen, bin gespannt.

  2. Die Unterrichtsbeurteilung, liebe Evelyne, ist sehr gut und meistens nützlich. Aber Kritik und Forderungen auf die gesamte Tätigkeit gesehen stehen in einem Missverhältnis zum Lob.

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