Refusé II

Mitte Woche rief mich der Mann an, um mir zu sagen, er sei unterwegs und Magen-Darm-krank und wenn er sich erheben wolle, werde alles schwarz. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einem öffentlichen Parkplatz gleich neben einer Autobahn unseres schönen Landes. Die Reaktion der Leute wäre eine weitere unschöne Geschichte in der humanitären Tradition der Schweiz, aber lassen wir das. Kurz: Ich, mein Schwager und die Ambulanz drangen eine halbe Stunde später zum dehydrierten Mann vor.
In der Ambulanz gingen die Funksprüche hin und her, es gab eine Menge anderer Einsatzwagen und -boote (auf der Aare), die grössere Sorgen hatten. Doch sobald sich in unserem Wagen („Nr. 21“ und die sagen wirklich „bitte kommen“) der Verdacht auf eine Tröpfcheninfektion erhärtete, liess das erste angepeilte Spital ausrichten, es könne uns leider nicht aufnehmen. Wir fanden schliesslich eines am Stadtrand, das ausser für Geriatrie und Landbevölkerung wenig positiv bekannt ist. Wir rollten also dort vor die Notaufnahme. Kaum durch die Schwingtür mit der Bahre, rannte uns auch schon ein Arzt entgegen, der uns anwies, sofort aus der Notaufnahme zu verschwinden und den Mann auf direktem Weg in die Quarantäne im Ostbau zu fahren.
Auch ich bekam strenge Instruktionen für das Betreten des Krankenzimmers: Vor der Türe Handschuhe und Mundschutz anziehen und dahinter einen weissen Mantel und erst danach durfte ich zum fiebernden, inzwischen am Tropf hängenden Mann. Beim Hinausgehen das Umgekehrte. Den Mantel noch im Zimmer aufhängen, damit die „Käfer“ drin blieben. Die Türfalle von innen mit den Handschuhen anfassen, dann die Türe zustossen und Handschuhe und Mundschutz in den Abfalleimer rechts neben dem Eingang. Danach Hände waschen und Infektionsmittel drauf. Schmutzwäsche nur in Plastiktüten aus dem Zimmer entfernen, keinen Besuch bei anderen Insassen und schon gar nicht in der Cafeteria. Bitte das Spital auf schnellstem Weg verlassen.
Der Mann seinerseits sah Ärztinnen, Schwestern, Putzpersonal und seine Frau über Tage nur vermummt, das Kind wurde erst gestern überhaupt hereingelassen – natürlich ebenfalls vermummt. Selbst als der Mann gestern wieder laufen konnte, blieb ihm zum Muskeltraining nur das Programm eines Gefangenen und zur Dusche durfte er auch nicht. Die Arztbesuche beschränkten sich auf wenige Minuten, die Schwestern vergassen ihn manchmal eine Weile und weil sich die Diätköche offensichtlich nicht auf die passende Kost einigen konnten, bekam er entweder kein Menue oder zwei.
Heute war das Blutbild dann soweit lesbar, dass man die Vogelgrippe sowie die Noroviren ausschliessen und eine Lebensmittelvergiftung diagnostizieren konnte. Der Mann durfte die Quarantäne verlassen.
Das war unsere persönliche kleine Asyl-Übung: Nach nur 48 Stunden Zurückweisung waren unsere Nerven zum Zerreissen gespannt und unsere Kräfte neigten sich entschieden dem Ende zu.

11 Gedanken zu „Refusé II“

  1. Oh, das kenne ich – zumindest wie es ist, voller Ungewissheit in der Quarantäne zu liegen und von unwissenden Krankenschwätzernwestern Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert zu bekommen, während man von lauter Vermummten umgeben ist und die Putzfrau mit dem gleichen Wischmopp das Zimmer putzt, mit dem sie zuvor die Zimmer der anderen Quarantänepatienten bearbeitet hat.
    Letztlich war es nur eine unbedeutende Immunschwäche, aber keine schöne Erfahrung. Zum Glück ist bei Euch auch alles glimpflich ausgegangen.

  2. Ja, zum Glück, Hokey und bei dir auch. Ich kenne einige Frauen, die diesen Spital-Putzjob haben und die müssen so Desinfektionsmittel beigeben. Ob es dann alle machen und ob das immer ausreicht, weiss ich nicht.
    Danke, Frau kaltmamsell! Es geht aufwärts.

  3. oh, zum glück überstanden soweit.
    was war denn mit käfer gemeint- oder wer hat sich so schräg ausgedrückt?
    haben die echt das wort vogelgrippe benutzt?
    all das klingt inhuman, fies.
    umso liebere grüße an euch von
    Lu

  4. Danke allen!
    Lu, „Vogelgrippe“ wurde so nicht benutzt. Der Mann war gerade aus dem Ausland zurück, aber zum Glück aus dem nahen und vom Wandern durch die Einsamkeit. Mit „Käfer“ waren wohl die Viren gemeint, es klang einleuchtend.
    Katia – ich werde es sehr gerne ausrichten.
    Lizamazo: Das sagst du der Richtigen. Ich bin in unserer SP-Sektion immer die Überstimmte, wenn es gegen Mobilfunkantennen geht, weil ich mich dieser Bewegung nicht anschliessen mag. Der Mann hat seit 13 Jahren ein Handy, ich seit 11; wir werden beide die idealen Versuchskarnickel für die Langzeitschäden.

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