14. Mai 1935 und 1948

Eigentlich dachte ich, ich überlasse die Berichterstattung kumulierter Gedenktage anderen, die das besser können und eher betroffen sind. Zum Beispiel Lila, die wieder einmal grandiose Blitzlichter aus dem Kibbuz geliefert hat (ja, ich kann die Hatikva auch besser als den Schweizer Psalm, meine Mutter ist schuld.).
Aber heute habe ich im Berner „Bund“ einen Artikel gelesen, der mein Buchhändlerinnenherz erschaudern liess. Offenbar finden die indizierten „Protokolle der Weisen von Zion“ immer wieder den Weg nach Europa. Vor 100 Jahren wurde dieses üble Falsifikat in Umlauf gebracht und am 14. Mai 1935 hat es ein sozialdemokratischer Berner Richter verboten. Allerdings „nur“ wegen Verstoss gegen das Schundliteraturgesetz, was in diesen Zeiten nicht lange vorhielt. Das anders lautende Berufungsurteil hat die 100 Mitglider NSDAP-Ortsgruppe Bern natürlich gefreut und ganz besonders die Nachbarn! Die verbreiteten den als Sachbuch getarnten Schund über die geheime Verschwörung der Zionisten, die nicht ihre Rückkehr nach Palästina sondern die Weltherrschaft planten, immer gern. Lesestoff war gesucht, mit den Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 war ja plötzlich viel dahin gegangen.
Ich halte buchhändlerische Zensur selten für angebracht, aber „Mein Kampf“ und „die Protokolle“ hätte ich nie und nimmer in einer kompletten und unkommentierten Fassung verkauft oder auch nur vermittelt, ganz egal, ob sie auf dem Index stehen oder nicht.
1948, genau 13 Jahre nach dem kurzzeitig klugen Berner Urteil waren die Juden um Millionen dezimiert, beraubt und vertrieben worden – und bekamen die knappe Zustimmung der UNO für einen eigenen Staat Israel.
Zum Historischen ein Auszug aus der Autobiographie von Amos Oz, eine Geschichte von Liebe und Finsternis, S. 538:

Um Mitternacht von Freitag, dem 14. Mai 1948, auf Samstag, den 15. Mai 1948, nach Ablauf der dreissigjährigen britischen Mandatszeit, entstand der Staat, den David Ben Gurion einige Stunden zuvor in Tel Aviv ausgerufen hatte. (…)
Aber um eine Minute nach Mitternacht fielen, ohne Kriegserklärung, Infanterie-, Artillerie- und Panzertruppen der arabischen Armeen ins Land ein: Ägypten von Süden, Transjordanien und Irak von Osten, Libanon und Syrien von Norden.

So begann der Leidensweg zweier Staaten im gleichen, von dem ich nicht glaube, dass er je eine Chance auf Abkürzung hatte. Und unabhängig davon, wie es mit den Unabhängigkeiten weitergeht, wird immer wieder zwischen Buchdeckeln auftauchen, was unendlich schlimmer ist als Schund, nämlich Hetze.

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