Helga hilft

Helgas Kräfte
Dass ich gerade wenig Kräfte spare, schlägt sich im Stil nieder. Deshalb werde ich mich diese Woche auf lehrerhafte Notizen an mich selber beschränken.
Nach Unterricht mit Nervenzusammenbruch (not me) heute, werde ich morgen wieder einmal einen Tag Ziele formulieren üben.
Ich kann mir Schöneres vorstellen, als in Zürich Lehrplan-Routine zu trainieren, aber auch sehr viel Übleres.
Leistungsziel-Langweiligkeiten für Lehrende bringe ich dann mit.

Ora et Labora (im KV)

Wie alle Buchhandlungen immer zu klein sind, so sind auch alle letzen Semester immer zu kurz.
Weil wir zusätzlich knapp dran sind mit Zimmern, fällt der Unterricht während den Lehrabschlussprüfungen aus. Das ist vielen schwer verständlich, weil sie nicht bedenken, dass ein Zimmer nur gerade einen Kandidaten für eine mündliche Prüfung fasst. Auch können sich viele nicht vorstellen, was es heisst, die Lernenden von Banken und Versicherungen, aus Ingenieurbüros, Bundesämtern, Drogerien und Buchhandlungen an der gleichen Schule zu prüfen. Aber alle haben ihre eigenen, berufsspezifischen Leistungsziele.
Vor der Lehrabschlussprüfung im Juni fällt noch Diverses an, was an der Unterrichtszeit knabbert. Der Grand Prix von Bern (bei dem viele Schülerinnen und Schüler von uns mitlaufen), Auffahrt, Pfingsten und Klassenreisen.
Seit der Berufsbildungsreform ist neu, dass wir mehrere Niveaus anbieten. Von zweijährigen Attestausbildungen (füher hiess das „Anlehre“) für leicht Behinderte über Lehren mit einer Fremdsprache und Lehre mit zwei Fremdsprachen bis zur Berufsmatura. Weil alle Niveuas durchlässig sind erfordert das viele Standortbestimmungen und kein ISO-Ablauf kann die vielen Einzelgespräche verhindern, die das einfach mit sich bringt. In den meisten Ausbildungen sind die Lehrfirmen an der Notengebung beteiligt, es ist auch mit ihnen ein reger Austausch nötig. Es klingt abgedroschen, aber eine kaufmännische Berufsfachschule mit knapp bemessenen Räumlichkeitenl ist in dieser Jahreszeit ein Bienenstock.
Ich habe mit meinen Abschlussklassen alle Test-Prüfungsläufe absolviert, es bleibt nur noch die schriftliche Arbeit von 60 Minuten zu üben. Die Prüfungen der Vorjahres werden nur zu diesem Zweck freigegeben, aber die von 2004 sind inzwischen öffentlich.
Beispiel von 2004 | Lösungen von 2004
Aber auch die Azubis im 2. Lehrjahr machen bei mir Standortbestimmungen, die Korrekturen müssen sie in diesem Fall selber machen. Ich erstelle für Sie Übungen des Unterrichtsstoffes, ganz genau so, wie wir ihn erarbeitet haben. Weil die Lernenden bei mir viele Unterlagen in Partner- Gruppen- oder Teamarbeit erstellen und auch durch Beispiele aus ihrer Lehrbuchhandlung ergänzen ist das jeweils an der Obergrenze der Dynamik. Es ist umso wichtiger, dass ich alles wieder regelmässig zusammenraffe. Doch ich muss:
a) mich auch nach Ihren Lösungsvorschlägen richten
b) ihre Fehler korrigieren
c) die von ihnen oft ignorierte Fachterminologie ergänzen
Kleine Klammer: Vielleicht versteht jemand da draussen, warum ich aggressiv werde, wenn ich höre, Lehrerinnen würden so „neumodisch“ unterrichten, weil sie dann nichts mehr selber machen müssten.
Jetzt habe ich jedenfalls den Stoff für die Wiederholung im 2. Lehrjahr zusammengetragen und die Lösungen formuliert. Ich bete (ausnahmsweise), dass ich morgen früh weder allzuviele Fehler noch die Fragen scheusslich finde, denn morgen brauch ich das. Mit unkorrigiertem Präpp ins Bett ist besser als mit gar nichts. Voilà:
1. Übung | Lösungen dazu
2. Übung | Lösungen dazu
Nachtrag: Die Medienmitteilung zur Direktionszuteilung in der neuen Kantonsregierung ist da. Ich kriege zum ersten Mal einen Chef, den ich gewählt habe: Bernhard Pulver.

1. Weihnachtsgeschäft (2005)

Wieder habe ich die Klassen des 1. Lehrjahres nach ihren Tops und Flops im Weihnachtsgeschäft gefragt. Ich habe die Erhebung gemacht wie im Vorjahr, und auch die Ergebnisse ähneln sich. Aber es gibt doch immer wieder Überraschungen auf beiden Seiten, im Schönen wie im Mühsamen. Lehrreich ist alles.
Wir werden uns nun, bis zum Ende des Lehrjahres, die ersten fünf Minuten jeder Lektion mit je einer positiven und einer negativen Aussagen befassen. Ich mache das im Lehrgespräch und schreibe jeweils ein Protokoll am Whiteboard.
In der Regel ist die Beteiligung sehr hoch und auch Lernende, die sonst nicht viel sagen, sind engagiert. Es werden – da bin ich mir sicher – viele Ideen zusammenkommen, wie im Verkauf gute Erlebnisse zu mehren und schlechte zu meiden sind.
Ergebnisse 1. Lehrjahr A 2005
Ergebnisse 1. Lehrjahr B 2005

Tagwerk

Ich habe diese Ferien sehr viel korrigiert. Und vorbereitet. Und die Grobplanung gemacht, für sechs Klassen, bis zum Sommer. Das Kind hat mir heute alle Unterrichtsdaten in die sechs Semesterpläne eingefüllt, samt Auffahrt und Ostermontag und Schulkonferenz und was sonst noch so an Spezialitäten anfällt. Zuverlässig und kostengünstig für CHF 3.—pro Semesterplan.
Ich habe derweil im Forum für den Buchhandel online gestellt, was mir sinnvoll schien. Erstens die Unterlagen zu unserem diesjährigen Perspektivenachmittag, der für das dritte Lehrjahr wichtig ist. Denn diese jungen Leute haben wirklich Anlass zur Sorge, und es hilft bestimmt nicht, wenn wir so tun, als würden sowieso alle sofort eine Stelle finden. Zweitens habe ich (m)eine Aktion zum „Nixenkuss“, einer Neuerscheinung im marebuchverlag, angekündigt. Der Verlag liefert uns Leseexemplare für zwei ganze Klassen, damit diese vor Erscheinen schon darüber diskutieren und Verkaufsargumente finden können. Ziel wäre eine klassische Win-Win-Situation. Ich bin gespannt auf meinen Animationsanteil, ich habe das noch nie gemacht. Traumhaft, wenn ich nur anschubsen müsste.
Natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, auch ein bisschen Blogs zu lesen, was sich, wie meist, als vernünftig erwiesen hat. Meine Favoritin unter den Analysen zum letzten Jahr ist die von Chuzpe.
Mir gefällt, dass die Best-Off-Einträge in der Blogosphäre gedämpfter daherkommen als 2004. Auch das Auflisten von kleinen Ärgernissen, wie Mitmenschen, die unten an der Rolltreppe stehen bleiben, scheint inzwischen démodé. Ebenso die Smilies, die gesetzt werden, weil manche ihre eigenen Frechheiten nicht zu verteidigen wissen und denen, die sich wehren, nichts entgegnen können als: „Also wirklich! Das war doch mit Smiiiiiliiiiiie!“
Ich hatte heute wirklich eine nostalgische, anregende und sanftmütige Reise durch die Blogwelt und alles in allem einen guten Start ins Jahr. Es bleiben sogar noch ein paar Stunden Zeit für den gebeutelten Haushalt. Was will ich mehr.
UPDATE: Zum Wäschefalten scrupedas Vortrag über Buckminster Fuller angesehen. Was brauch‘ ich TV, wenn’s Blogs gibt? Höxtens für die WM.

Mit Stil

Comixworkshop im Dezember 2005
Derweil ich heute die Feedbacks der Lernenden zum dezemberlichen Comicworkshop ausgewertet habe, haben viele schon den ersten Sonntagsverkauf hinter sich gebracht, auch die Workshop-Leiterin vom Comix Shop in Basel.
Die Resonanz war sehr gut. Weil ich ja zuerst fundraisen muss, bevor ich solche Sachen machen kann, muss sollte ich danach auch einen Bericht für unsere Schulzeitung „Pegasus“ verfassen und die Spender gebührend verdanken. Und da bin ich gerade dabei.
Wussten Sie, dass Comics „sequenzielle Kunst“ sind und dass ein Comic mindestens zwei Bilder mit Zusammenhang braucht, um ein Comic zu sein? Wussten Sie, dass der erste Comic von einem Schweizer gezeichnet wurde, von Rodolphe Töpffer (1799-1846) ? Und dass die ersten Sprachblasen keine Blasen, sondern das gelbe Nachthemd von „Yellow Kid“ waren? Und dass Hergé für „R“ und „G“ und das wiederum für Rémis, Georges steht? Und dass Hergé sich, genau wie Kästner, ins innere Exil begeben musste? Eben. Solche Sachen haben wir gelernt und über die verschiedenen Stilrichtungen und Mangas, die im Moment 70% der Verkäufe ausmachen, auch noch eine ganze Menge.
Wenn der Artikel geschrieben ist, korrigiere ich noch die ersten fünf Semesterarbeiten von 40, das ist der Preis für meine Langschläferei heute Morgen. Täglich fünf, und ich bin nächsten Sonntag fertig. Es sind interessante Arbeiten, der Auftrag war ein „Verlagsprofil aus Sortimenterinnen-Sicht“ mit dem Ziel, einen Verlag nicht nur vom Programm her, sondern seinen ganzen Auftritt im Buchhandel zu erfassen. Samt seiner Performance an Messen und in der Branchenpresse, samt Vorschauen und Vertretungen in der Schweiz.
Dies alles, damit die angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler auf die guten Taten ihrer Kundschaft angemessen reagieren, den Zusatznutzen des stationären Buchhandels völlig natürlich demonstrieren und so – dank Sorgfalt, Geist und Nähe – der Gang in den Buchladen für alle zum Beginn einer wunderbaren Freundschaft werde.

Paradise Now: Filmheft

Ich habe den Film voller Vorurteile angeschaut, als er hier ins Kino kam. Schon bevor er in der Blogosphäre auftauchte, hatte ich Vernichtendes darüber gehört.

Der Mord an Israelis soll als Überzeugungstat verständlich gemacht werden, und bietet seinem Publikum an, diese Überzeugungen im Verstehen der Tat zu teilen.

Aber ganz ähnlich wie bei Grass’ Im Krebsgang, zu dem ich zahlreiche Rezensionen betreffend Verharmlosung der deutschen Schuld und Tätersympathie gelesen hatte, bevor ich überhaupt zur Primärlektüre kam, musste ich wieder merken: es ist nicht, wie es teilweise rezensiert worden ist.
Nachdem nun auch noch diese Petition die Runde macht, habe ich letzte Nacht das Begleitheft für Schulen durchgelesen. Ich habe noch niemanden gefunden, der seine Begründung, es sei schlecht, auf Fundament gestellt hat und auch noch keine Lehrperson, die sich äussert. Das sollten wir aber.
Viele Länder unterstützen Filme in der Absicht, sie für den Unterricht zu verwenden. In der Schweiz werden oft Themenfilme in Auftrag gegeben, das gibt Arbeit für Schweizer Filmemacher und Filmemacherinnen, und es entsteht daraus wichtiges Unterrichtsmaterial für verschiedene Stufen.
Ein Beispiel: Eine meiner Schülerinnen sagte in der Pause, sie wäre immer gegen Rassismus gewesen, aber seit letzten Samstag wisse sie, dass die „Jugos“ genau so seien, wie das erzählt werde.
Ich habe darauf nur indirekt reagiert, indem ich zwei Lektionen mit Balkan Realities und einer (damals) Neuerscheinung Ein Stück gebrannter Erde gemacht habe. Stiftungen wie die für Bildung und Entwicklung ermöglichen mit Hilfsmitteln eine schnelle Reaktion im Unterricht. Die Qualität des Materials ist mehrheitlich gut, ich erinnere mich nur an einen einzigen Flop, den Comic Das Abkommen, den ich wahrlich niemandem empfehlen kann.
Ich vermag nicht einzuschätzen, ob Deutschland hier ähnlich funktioniert und die Bundeszentrale für politische Bildung mehrheitlich gutes Unterrichtsmaterial produziert. Aber zurück zum Begleitheft zu „Paradise Now“. Das Heft ist schlecht, das lässt sich nicht abstreiten. Da ich nicht davon ausgehe, dass Heerscharen von Lehrkräften sich um diesen Film reissen, gebe ich dafür nur zwei Gründe:

  • Es hält der Kongruenzprüfung nicht stand. Übrigens ein häufiger Fehler in didaktischem Begleitmaterial, das nicht von Lehrpersonen verfasst oder zumindest korrigiert wird. Wenn es in der Zusammenfassung heisst, die Familien seien „ahnungslos“ und in der Beschreibung der Mutter dann, sie spüre „intuitiv“, dass der Sohn etwas „im Schilde“ führe, dann ist das halt nicht unterrichtstauglich. Und es ist leider nicht das einzige Beispiel.
  • Die Fragen (unerklärlich getrennt nach „Problemstellungen“ und „Aufgaben“), die die Lehrperson den Lernenden stellen könnte, sind von minderer Qualität oder böser: „Wischiwaschi“. Sie lassen kein Lernziel erkennen und bieten nur sehr erfahrenen Lehrpersonen einen Ansatz für Gruppenarbeiten (solche Sachen macht ja kein Mensch im Lehrgespräch oder im Frontalunterricht).
  • Wenn ich die Bundeszentrale für Politische Bildung wäre und diesen Film unterstützt hätte, hätte ich das getan, weil deutsche Schulen von sehr vielen Muslimen besucht werden. Und weil viele dieser muslimischen Lernenden nicht die Gelegenheit haben, sich eine eigene Position in ihren Familien zu erarbeiten, schon gar nicht eine politische. Wenn daheim Antisemitismus anerzogen wird, übernehmen sie das unreflektiert, weil die Schule dem zu wenig oder gar nichts entgegensetzt. Und Figuren, mit denen jeder selber – ob in der Literatur oder im Film – um Ablehnung und Sympathie ringen kann, können Menschen Differenzierung lehren. Doch nachdem ich das Heft für den Unterricht mit Lernenden ab 14 Jahren nun gelesen habe, weiss ich nicht, mit welchem Lernziel der Film gezeigt werden soll.
    Grundsätzlich aber unterstütze ich Filme für die Schule, die nicht undiskutiert stehen bleiben können. Denn die eigene Position ist die einzige Garantie für Demokratie. Eine eigene Meinung muss man üben und je durchmischter die Klasse, desto besser geht das. Denn die Schule ist ein Lernort und nicht einfach eine Vermittlungsstelle für Patentrezepte.

    Von Buchmenschen lernen

    Viele meiner Schülerinnen und Schüler haben geächzt und der Aufgabenlast, die ich ihnen an die Buchmesse mitgegeben habe. Letztes Jahr hatten die Klassen – es ist immer das 2. Lehrjahr, das eine Exkursion zur Buchmesse macht – eher zu wenig Aufträge. Das ist eben auch nicht gut, weil sie ziellos schneller ermüden. Ich werde die Aufträge nächstes Jahr noch flexibler halten, damit die Lernenden besser selber dosieren können. Einige haben auch Aufträge vom Lehrgeschäft zu erfüllen, und das will ich nach Kräften unterstützen. Denn dabei lernt man einfach am schnellsten und am meisten, die beste Berufsschule der Welt kann das nicht ersetzen.
    Aber sie haben trotzdem engagiert referiert. Sie waren beeindruckt von den Koreanerinnen, die alle fliessen Deutsch sprachen und begeistert von der Buchhändlerschule in Frankfurt-Seckbach. Dort gab’s nämlich ein Fest und Freibier und coole Lehrer.
    Ich habe mich gefreut über diesen ganz besonderen Messespiegel von Menschen, die knapp zwei und nicht bald zwanzig Jahre, wie ich, mit Büchern arbeiten. Die Folien, die sie zu den Referaten gemacht haben, habe ich für sie selber und ihre Lehrmeisterinnen im Forum für den Buchhandel deponiert. Das förtert die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten.
    Speziell erwähnen möchte ich die Besuche beim bilgerverlag, beim Verlag Klaus Wagenbach und beim Limmat Verlag, der heuer sein 30. Jubiläum feiert. Alles Verlage, die viele Lehrlinge nicht mehr von selber kennen lernen. Darum ist es mir so wichtig, dass ich die Begegnungen an der Messe organisieren kann. Gerade weil die Messetage immer hektischer werden, bin ich diesem kleinen Club von Idealisten besonders dankbar, dass sie „meine“ Schülerinnen und Schüler empfangen und ihnen ehrlich und lebendig Auskunft geben.
    Der Limmat an der Limmat

    Kolumne

    Nach dem Vorbild der SZ, hat Herr Rau die Gewissensfrage gestellt.
    Dass das Begründen für viele Lernende so schwierig ist, ist für mich ein herber Rückschlag. Seit Jahren antworten Hunderte von Büchern mit Antworten auf Warum-Fragen von Kindern und Jugendlichen. Und irgendwer kauft die ja und erzieht entsprechend, oder? Dazu kommt, dass eine Buchhändlerin, die nicht begründen kann, an der Verkaufsfront verloren ist.
    Wir sehen uns – und ich rede im Plural, weil viele Kolleginnen und Kollegen es auch so erleben – mehrheitlich mit einer Jugend im Argumentationsnotstand konfrontiert. Mit einer Jugend, der es oft an Überzeugung fehlt und wenn nicht dies, so dann an überzeugenden Argumenten.
    Unsere Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer wirken dem entgegen, indem sie – genau wie Herr Rau – entsprechende Übungen machen:

  • Überzeugungsrede
  • Feed-back-Aufträge
  • Erörterung als Aufsatzform
  • Und einige von ihnen haben sogar ein ausgezeichnetes Lernheft zum Thema verfasst, das auch ich im Fachunterricht regelmässig brauche:
    Erlebnis Sprache. Wirkungsvoll argumentieren: von der Überzeugungsrede zur Erörterung.

    von Selbständigkeit

    Ich hatte Ende Juni zwei Lektionen, in denen ich 18 Schülerinnen und 2 Schüler im Fach Berufs- und Verkaufskunde beschäftigen musste. Es waren Lehrabschlussprüfungen und der Vertretungen keine zu erwarten.
    Die attraktive Unterrichtszeit, die betreffende, von 11:20 unf 13:00 Uhr, lebt schon stark von der Kontrolle, denn Schlafen und Schwänzen liegen in der Luft. Im Lehrberuf ist ja guter Rat nur indirekt teuer, aber er kostet immer wieder Zeit. Deshalb habe ich drei Wochen vor dem Tag X, dessen Mittag die Lernenden alleine bestreiten mussten, angefangen (ich sehe sie nur einmal die Woche).
    Ich habe das Thema völlig frei bestimmen lassen, ob Wandern an der Aare oder Lernen im Schulzimmer, ich versprach, zu irgend einem Thema etwas vorzuberieten. Die Lernenden haben sich für literarische Genres entschieden, von denen wir auswählten, was an der Verkaufsfront am meisten nützt. Ich habe die Gruppeneinteilung nach Interesse vorgenommen und Themen und Namen auf Flipchartblätter geschrieben. In der nächsten Woche habe ich jeder Gruppe Unterlagen zu ihrem Thema verteilt und sie nach dem Motto „können wir damit alleine etwas anfangen?“ prüfen lassen. Danach habe ich einen Zeitplan für die Lektionen ohne Lehrerin erstellt, ausgetielt und der Sache ihren Lauf gelassen.
    Als ich letzte Woche die Klasse wieder sah, war ich sehr gespannt auf das Feedback. Ich liess mir von Schülerinnen und Schülern, die nicht in der jeweiligen Gruppe mitgerabeitet hatten, erzählen, was sie noch wussten. Als Erinnerungshilfe hatte ich von den Gruppen Flipchartblätter mit Stichworten erhalten, die ich erneut aufhängte.
    Das lief nahezu perfekt. Bei einer Gruppe fehlte das Blatt (das hatte ich nicht verlangt, mein Fehler) und deshalb erinnerte sich niemand von den anderen so genau. Aber dafür die Gruppe selber umso besser. Ich habe viel gelernt, vor allem feine Unterscheidungen wie die zwischen Fantasy und Science Fiction und einiges über neuere historische Romane, beides Felder, in denen ich wahrlich Lücken habe.
    Absenzen hatte es mit 5% zuviel in diesen selbständigen Lektionen. Aber die Leute, die da waren, haben wirklich gearbeitet. Fand ich toll, ich habe nicht mit Komplimenten gegeizt.
    ***
    A propos Komplimente: Diese Woche findet die Befragung der Lernenden statt. Alle Schülerinnen und Schüler beurteilen ihren Unterricht und mit ihm die Lehrpersonen. Ich komme vielleicht dereinst darauf zurück, aber es wurde schon so viel über Unterrichtsberuteilungen geredet und geschrieben, dass ich mir noch etwas überlegen muss, in welcher Form.
    Jedenfalls habe ich einen Schüler, der nicht im entferntesten meiner ist, heute im Bus gefragt, wie er diese Beurteilung so angehen würde? Er meinte: „Die Kreuze waren meistens auf der positiven Seite. Bei den Bemerkungen habe ich bei allen etwas Gutes hingeschrieben, aber auch bei allen etwas, was sie verbessern können. Ich habe viel gelobt!“ Klingt ganz anders als im Lehrerzimmer befürchtet, klingt fair und richtig.
    ***
    Und wie prickelnd erst klingt Herr Raus heutige Wortschöpfung? Er hat ein pädagogisches Eros erfunden, ich jedenfalls habe in dieser unseren politisch korrekten Zeit noch nie vorher davon gehört. Mir fallen eine Menge Sätze ein, in denen ich diesen prägnanten Begriff gerne unterbringen werde.