Die Neuen kommen

Ich mag didaktische Herausforderungen. Morgen beginnt der Einführungskurs für 44 neue Lernende im Buchhandel. Wir haben wieder welche aus dem Wallis dabei und ich bin dann wirklich froh, wenn die Züge durch den neuen Tunnel brausen und die Armen eine Stunde Anreisezeit sparen.
Mein Part im Einführungskurs ist die erste Stunde mit den Themen:

  • Einführung in die Schule
  • Einführung in die Führung des Arbeitsbuches
  • Berührugnspunkte gibt es wenig. Das Arbeitsbuch (heute eher ein Ordner) im Lehrbetrieb muss geführt werden, während in der Schule das Führen von Ordnern freiwillig ist und diese auch nicht korrigiert werden (ausser Semesterarbeiten natürlich). Ich habe schon Leute erlebt, die ihre ganze Lehrzeit überhaupt nichts dokumentiert haben, weder in der Buchhandlung noch in der Schule und die Prüfung trotzdem geschafft haben, aus Stegreif und Praxis halt. Dokumentation ist nicht gerade eine Stärke des Buchhandels.
    Aber so kann ich ja keine Greenhorn-Stunde anfangen.
    Ich habe mir gedacht, ich bewege die jungen Leute ein wenig. Man stelle sich vor: Die sind zwischen 16 und 25 Jahre alt und sehen auf dem Programm, dass irgend eine Abteilungsleiterin die Einführung zur Einführung zur Einführung macht. Gäääääähn.
    Nun habe ich einen Postenlauf kreiert, damit die Einführung in die Schule nicht theoretisch, sondern praktisch passiert. Das Organigramm kann ich so kaum erklären, aber das ist wirklich nicht wichtig. Die Aufgabe wird sein, verschiedene Dinge herauszufinden und das versteckte Ziel natürlich, dass sie sich rasch die wichtigsten Bezeichnungen und Orte merken können. Zum Beispiel so:

  • Wo genau hat es einen Kopierapparat, den Lernende selber benützen können? Tipp: Schulhaus 1.
  • Das Sekretariat Grundbildung ist zuständig für Absenzen, Zeugnisse, Anmeldungen und Abmeldungen. Wann ist das Sekretariat Grundbildung geöffnet?
  • Besuchen Sie ein Klassenzimmer. An der Innenseite der Türe ist eine Liste aufgehängt. Was steht da und weshalb?
  • Für das andere Thema habe ich mir Arbeitsordner von frisch gebackenen Buchhändlerinnen geliehen und einzelne Seiten daraus kopiert. Die habe ich ganz klein zusammengefaltet und in Umschläge gesteckt. Die Umschläge hatte ich zuvor aus Verlagsplakaten gebastelt, bei denen die Wiedererkennungschancen gut stehen (Narnia, Harry Potter). Ich habe auch noch ein paar Kopien aus meinem eigenen Arbeitsbuch darunter gemischt, damit sie sehen, wie grün ich damals gewesen bin.
    Die vier Umschläge werden dann unter den 44 verteilt (ich erkläre anschliessend weshalb), die Zettel werden individuell gezogen und aufgefaltet. Meine Fragen werden sein: Worum geht es auf dieser Seite des Arbeitsbuches? Was hat die Buchhändlerin sich hier aufgeschrieben? Und warum?
    (Bei 44 Leuten darf man nicht alles in einem Stapel herumreichen, das dauert ewig bis der Letzte sein Blatt hat. Man muss pro Reihe oder Gruppe austeilen oder – noch besser – die Arbeitsplätze schon im Voraus samt allem Material bereit machen. Dann setzen sich die Zuhörerinnen und Zühörer nämlich auch gerade richtig hin und kleben nicht in den hintersten Reihen. Wenn es viel Material ist, sind Mäppchen zu empfehlen. Dann lesen sie nicht alles, während man redet, weil sie die Blätter nicht aus dem Mäppchen rausnehmen.)
    Mal sehen. Vielleicht ist das, was ich für diese Stunde vorbereitet habe, zu schwierig oder zu leicht oder zu kurz oder zu lang. Hauptsache nicht langweilig.

    Maaam…?

    Kind:
    … hast du mir ‚was mitgebracht?
    Mutter:
    Ja.
    Kind:
    Was?
    Mutter:
    Ein Buch.
    Kind:
    Oh. Ein Buch.
    Mutter:
    Ja. Es ist neu und ich dachte es passt zu dir.
    Kind:
    Ahaa.
    Mutter:
    Komm schon, ich zeig’s dir.
    Kind:
    Also halt.
    Mutter:
    Hier. Mich haben schon die ersten Seiten gepackt, es geht darum, dass jemand versucht – man weiss nicht wer – einen Jugendlichen als labil hinzustellen. Ein sehr fieser Anfang. Aber du brauchst es ja nicht jetzt zu lesen. Ich leg’s hier hin.
    Kind [eine halbe Stunde später]:
    Das ist ja wirklich mega-neu. Die CD die der hier kauft, ist erst vor einem halben Jahr erschienen!
    Kind [kurz vor Mitternacht]:
    Fertig! Uff!
    Mutter:
    Und – ?
    Kind:
    Sehr gut.
    Abgerechnet
    Natürlich ist Leseförderung nicht immer so einfach. Doch ich habe fünf goldene Regeln, die ich im Laufe der Jahre bei veschiedenen Kindern angewendet und als Buchhändlerin oft weiter empfohlen habe. Viele haben mir zurückgemeldet, dass es ganz gut funktioniert:

  • Lassen Sie Kinder selber Bücher auswählen und kaufen Sie ihnen regelmässig ein nigelnagelneues Buch. Nostalgie („Das hat mir schon meine Omi vorgelesen!“) kann bei einem Kinderbilderbuch zwar schön und traditionsbildend sein, aber Kinder von heute sind in erster Linie Kinder des 21. Jahrhunderts.
  • Drängen Sie Bücher nicht auf. Lassen Sie die Bücher und Zeitungsartikel und Zahnhygienebroschüren und Cannabis-Leporellos, die die Kinder lesen „sollen“, einfach herumliegen. Auf dem Teppich, im Klo, vor dem Schuhgestell und neben allen Sofas und Betten. Räumen Sie nicht ständig auf! Lassen Sie die Kinder lesen, wenn sie mal dran sind!
  • Sprechen Sie über das Lesen und nicht über das Nicht-Lesen. Selber herauszufinden, aus welchen Zutaten Gummibärchen genau gemacht sind, ist interessanter, als ständig „wenn du nur endlich ein richtiges Buch lesen würdest“ zu hören.
  • Hängen Sie die „Rechte des Lesers“ von Daniel Pennac auf. (Die verlinkte englische Kurzversion hat der grossartige Quentin Blake illustriert und das Original wurde in etliche Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche.) Das kann im Badezimmer oder im Kleiderschrak sein, irgendwer wird früher oder später schon darauf zu sprechen kommen.
  • Werten Sie nicht. Mickyheft-Jahre sind wertvoll, Comics sind gesund. Lesen ist lesen ist lesen.
  • Abgerechnet 2

    Updates zum Lehrbuch

    In der Sportwoche habe ich einige Updates zu unserem Lehrmittel „Wirtschaftsunternehmen Sortiment“ gemacht. Ich mag dieses Lehrmittel und bin auch für die hauchdünne inländische Ergänzungsbroschüre dankbar.
    Doch stellenweise ist das Lehrmittel für die Bedürfnisse meiner Schülerinnen und Schüler zu stark auf den Kleinbuchhandel ausgerichtet, der in der Schweiz einfach einen geringeren Teil des Sortimentsbuchhandels ausmacht als in Deutschland.
    Und in manchen Kapiteln bin ich mit der Gewichtung nicht ganz glücklich, vor allem dort, wo es um Innovationen des Buchhandels geht. Ich habe hier schon mehrmals erwähnt, dass Identifikation ein Schlüssel zur erfolgreichen Lehrzeit ist. Aber dafür müssen junge Leute auch Identifikationsmöglichkeiten bekommen. Wenn ich als Neueinsteigerin die seitenlangen Abdrucke möglicher Forumlare des Buchhandels lesen und lernen müsste, würde ich mir die Frage stellen, ob mich meine Berufswahl in die Prä-Information-Technology-Phase zurückkatapultiert hat.
    Kurz: Wie die meisten Lehrpersonen überspringe ich einiges im Lehrmittel grosszügig. Bis jetzt bin ich weder von Auszubildenden noch von Ausbildern dafür gerügt worden. Dafür baue ich andere Themen selber so aus, wie es mir zeitgemäss erscheint.
    Folgende Ergänzungen zum „Wirtschaftsunternehmen Sortiment“ werden in diesem Blog regelmässig angeschaut. Deshalb möchte ich auch die Updates wieder zur Verfügung stellen und die, die eine Link gesetzt haben, um dessen Erneuerung bitten:
    Nummern und Normen im Buchhandel 2007
    Ergänzung zum Thema Warenwirtschaft 2007

    Protokollieren

    Schon ziemlich früh in meinem Berufsleben habe ich einen kausalen Zusammenhang zwischen Erfolg und Dokumentation eines Projektes gesehen. Ich gehörte zwar bereits zu der Stenographie-freien Generation, aber das Protokollieren habe ich in der Lehre und der Jugendbewegung bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs gelernt. Erstaunlicherweise ist mir kein Unterschied aufgefallen zwischen den endlosen Protokoll-Korrekturen einer Vollversammlung anarchistischer Feministinnen und denen des mittleren Kaders eines Bundesamtes. Gottlob hat uns die rasante technische Entwicklung davor bewahrt, weiterhin das Heil jeder Projektplanung oder Revolution im Wortprotokoll zu suchen.
    Gerade diese Woche habe ich den Eindruck, rund um die Uhr zu protokollieren. Ich brauche das halt auch im Unterricht. Ich hole Meinungen ein, lasse die Leute für Gruppenarbeiten ausschwärmen und bilde oft Expertengruppen, die den anderen dann etwas genauer erklären.
    Ich finde es wichtig, dass aus solchen Arbeiten Produkte entstehen und sei es „nur“ ein Blatt. In der Rudolf-Steiner-Schule war das eine Selbstverständlichkeit, und es hat eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, dass das nicht überall so ist.
    Die meisten Lernenden brauchen sehr genaue Anweisungen, um ein Produkt zu erstellen, das ihre neuen Erkenntnisse spiegelt. Deshalb mache ich entweder Vorlagen, die die Lernenden füllen können oder protokolliere die Ergebnisse so, dass ich sie danach zusammenfassen und abgeben kann. Klammer auf: Eine andere Möglichkeit ist die Projektfotografie und das Filmen. Ich bin da keine Expertin, sehe aber bei meiner Schwester Heilpädagogin wie gut es funktioniert, sofern man das Schneiden und Archivieren im Griff hat. Klammer zu.
    Für die Sitzungen in der Schule haben wir eine neue Vorlage für ein Kurzprotokoll, die mir sehr entspricht und vieles erleichtert. Leider steht sie nicht zur öffentlich zur Verfügung. Für Interessierte versuche ich eine Erklärung in Prosa.
    „Protokollieren“ weiterlesen

    Von kleinen Fällen

    Prolog:
    In jedem meiner ellenlangen Rudolf-Steiner-Schulzeugnisse wurden mir Zielorientiertheit und kulturelle Kompetenz attestiert. Das sind ehrenvolle Eigenschaften, von denen ich hoffe, sie wenigstens in Teilen über die Jahre gerettet zu haben.
    Meine Eltern kamen vom Land in die Stadt, meine Mutter war gelernte Heimerzieherin, mein Vater hatte ein abgebrochene Lehre als Chemielaborant. Wir wohnten in einem Quartier, in dem Chancengleichheit (bis heute übrigens) nichts war als eine gähnend leere Worthülse. Sich selber und seine Umwelt neu zu definieren war in meinem Umfeld der Antrieb. Er trug bisweilen sonderbare Blüten, aber er bildete den Charakter offensichtlich in Richtung Strebsamkeit.
    In der Folge grenzte ich mich als Jugendliche ab, indem ich alles super-pragmantisch anging. In diese Zeit fiel auch mein Entschluss, Fallstudien über soziale Ungerechtigkeiten anzulegen.
    Deshalb verfüge ich wohl über das ungeordnetste umfassendste Archiv zum Thema Chancen(un)gleichheit im Bildungswesen des Kantons Bern. Heute habe ich das – aus einem Anlass, welchen hier zu erklären zu weit führen würde – wieder durchkämmt. Mit Augenmerk auf Schlüsselszenen im Leben bildungswilliger Jugendlicher.
    Ich habe vier Fälle gefunden.
    „Von kleinen Fällen“ weiterlesen

    Paninialbum 2006

    Paninialbum 2006
    Nachdem es all‘ die Blauen ins Final geschafft haben, ist es höchste Zeit, das Grundlagewerk zum Ereignis zu rezensieren. Da nicht nur Schuster sondern auch unterrichtende Buchhändlerinnen bei ihren Leisten bleiben sollten, mache ich das möglichst adäquat.
    Ich erzähle ja nichts Neues, wenn ich daran erinnere, dass Lernen immer am besten funkioniert, wenn man einige Grundsätze beherzigt:

  • Lernen ist ein ganzheitlicher Vorgang [Herz, Kopf, Hand].
  • Kopf, Herz und Hand sind dabei beteiligt [AHA].
  • Zur erfolgreichen Verinnerlichung von Neuem sind verschiedene Aktiviäten erforderlich [Kopf, Hand, Herz].
  • Dabei sind mehrere Anläufe nötig [Hand, Kopf, Herz, Hand, Kopf, Herz, Hand, Kopf, Herz, Hand, Kopf, Herz, Hand].
  • Gute Hilfsmittel sind unentbehrlich [Herz, Hand, Kopf].
  • Warum ich das schon wieder aufliste?
    Es beelendet mich halt, dass ich über die ganze WM-Zeit keine einzige Lehrperson gefunden habe, die das Panini-Album im Unterricht einsetzte. Die WM wird zwar bisweilen schulisch verwertet, aber das Album wurde schnöde ignoriert. Ich mache mir schon ein wenig Sorgen um das vom Sein bestimmte Bewusstsein, wenn keinem auffällt, dass das Panini-Album im Moment Marktführer des Gedruckten ist. Die Panini-Abdeckung bei den Kids und Teens erreichen Bravo und Mickey und alle Mangas zusammen nicht.
    Ich selber habe kaum ein Unterrichtsfeld, in dem ich das Album einsetzen könnte (sehr bedauerlich). Ich hab’s mir trotzdem genauer angeschaut und mit Freude zunehmend didaktisches Bewusstsein bei Panini registriert.
    Man nehme den unglücklich ausgeschiedenen Titelverteidiger. Bei der WM 1998 war da nichts als ein Auftritt mit Köpfen, Daten und Wappen.
    Ganz anders im Panini-Album 2006! Didaktische Wertschöpfung durch Land, Adresse für Fans, Länderbezeichnungen bei den Clubs, ja, gar eine kleine Präsentation des Kontinents samt Nationen und Ergebnissen der Vorrunde. Und gegenüber dem Spielplan von 1998 ist der Spielplan von 2006 definitiv die bessere Kopiervorlage.
    Schon die Durchschittsgrösse und das Durchschittsgewicht der einzelnen Mannschafen auszurechnen, macht doch etwas her. Und dann erst das Durchschnittsalter! Schliesslich sind nur Jahrgänge angegeben. Solche Unterlagen sind prädestiniert für das Errichten individueller Lernziele. Als zusätzliche Herausforderung hätte ich je die Ermittlung des Medianwertes empfohlen. Und wer herausfindet, in welchem Monat die meisten Geburtstag haben, darf das Spiel im Sportunterricht auswäheln und wer am schnellsten weiss, aus welchem Club die meisten Spieler an der WM sind, kriegt ein Schweissband von Nike Adidas. Die Multikultur des Fussballs ergibt zahlreiche Aufgabenstellungen in Geografie und anstatt bescheuerte Wetten wäre Kombinatorik am Platz: Wer findet (zum WM-Start) alle möglichen Gegner im Achtel-, Viertel- und Halbfinale? Die beste Ermittlungsmethode gewinnt!
    Das wäre Bedeutsamkeit. Und nicht nur das Lamentieren darüber. [Manchmal überkommt auch Lehrerinnen ein Anflug von Selbsthass.]

    Es schneit (Korrekturen & Notizen)

    Das Schöne an der Rütli-Schule-Diskussion ist, dass ich dazu gar nichts zu sagen brauche, weil ich es entweder schon gesagt habe, ein anderes Blog es schon gesagt hat oder eine Zeitung es gleich sagen wird. Ich habe mich das vergangene Jahrzehnt oft verteidigen müssen, aber im Moment bin ich echt bei den Leuten. Nachdem sich die NZZ am (letzten) Sonntag noch entblödet hat „Der Multikulti-Mythos wankt“ zu titeln, vermeldet heute sogar SPON mein Credo: Multikulti ist nicht erfolgreich oder gescheitert, sondern Realität. Die ZEIT hatte es schon viel früher gemerkt.
    Das Tragische an der Rütli-Schule-Diskussion ist, dass sie nichts ändern wird. Dass sich damit kein einziger tropfender Wasserhahn flicken lässt und kein noch so kleiner Band-Raum daraus entstehen kann. Eher wird einer geschlossen („Ende der Kuschelpädagogik“).
    Und ich korrigiere Test Nr. 1-13 zum Thema Zwischenbuchhandel, Kreditoren und Mehrwertssteuer.
    Es schneit und schneit und schneit.
    Zwischen Amüsement und Verbitterung schwanke ich, wenn sich hinter jeder neuen Integrationskrise ein sozialdemokratischer Bürgermeister aus der Schale pellt, der eigentlich schon lange gewarnt hat. Nun, Heinz Buschkowksy (Neukölln, D), Dilain Claude (Clichy-sous-Bois, F) und Boris Banga (Grenchen, CH) werden bald nicht mehr allein, sondern an der Spitze einer langen Polonaise durch die überhitzten und auf Hirsebrei heruntergesparten Küchen Europas wanken.
    Und ich korrigiere Test Nr. 14 – 20 noch immer zum gleichen Thema. Und einen Nachholtest zu Nummern und Normen.
    Es schneit und schneit und schneit.
    Von mir aus kann man gerne sämtliche individuelle, nicht für den Unterricht verwendete Elektronik auf dem Schulareal verbieten, Handys und iPods können mir da wirklich gestohlen bleiben. Aber die Sanktionen und deren Umsetzung müssten pro Schule klar sein. Alternativen müssten auf- und ausgebaut werden. Kurzfristig hiesse das: Räume für das Abspielen guter Filme. Mittelfristig: Permanente Schulsozialarbeit mit dem ganzen Friedensstifter-Programm, Pausenbetreuung inklusive gesunde Ernährung und zielorientierten Medienkonsum, an dem alle teilhaben können, die wollen. Langfristig: Mediotheken mit Büchern, Lernspielen und einer freundlich-bestimmten hübschen Dame à la Mary Poppins am Desk. Ja, ich weiss, dass das unrealistischer ist als das Leben auf dem Mars.
    Und ich korrigiere und layoute 16 Prüfungsfragen eines Kollegen zum Thema Warenkunde.
    Es schneit und schneit und schneit.
    Beim Bündeln des Altpapiers begegnen mir noch einmal die Fragen an Einbürgerungswillige, die die NZZ am Sonntag aus verschiedenen europäischen Ländern gesammelt hat (nicht online). Sie scheinen mir furchtbar kompliziert. Ich würde lieber mündlich und mehr auf unsere Verfassung bezogen fragen, denn hier liegt mein häufigstes Integrier-Problem. Man unterhält sich über alles, nur nicht darüber, wie etwas hier gesetzlich geregelt ist. Jede Frau darf ein Kopftuch tragen, wenn sie nicht irgend eine andere Uniformpflicht oder Hausordnung unterschrieben hat, aber niemand hat das Recht, sie dazu zu nötigen.
    Ich weiss ja selber nicht, was kluge Fragen wären. Gut Integrierte sollten sie ja wirklich einfach beantworten können, sonst wird es absurdes Theater.
    Ich korrigiere dann mal den Plan der Lehrabschlussprüfung und ergänze die Schulwebsite um die Daten.
    Es schneit und schneit und schneit.
    Vielleicht würde ich fragen:

  • Geben Sie ein Beispiel für einen Konflikt in Ihrer Familie. Wie konnten Sie ihn lösen? Wo können Sie Hilfe holen, wenn Sie Konflikte nicht selber lösen können?
  • Gibt es etwas wie eine „Spezialität“ Ihres Wohnorts? Eine Sportart oder eine Sehenswürdigkeit, ein besonderes Fest? Kennen Sie dort auch einen Verein?
  • Können Sie eine Tat nennen, die in der Schweiz bestraft wird und in Ihrem Herkunftsland nicht?
  • Können Sie eine Tat nennen, die in Ihrem Herkunftsland bestraft wird und in der Schweiz nicht?
  • Wer wählt den Ehepartner/die Ehepartnerin aus? Und wer hat das letzte Wort?
  • Sicher ist es wichtig, dass Einbürgerungswillige wissen, dass Homosexualität bei uns nicht strafbar und für die meisten viele ganz gewöhnlich ist. Aber für mich ist die Akzeptanz von Homosexualität unter anderem eine Folge davon, dass wir hier unsere Kinder weder zusammenschlagen noch enterben noch zur Reproduktion mit einem von uns gewählten Partner zwingen dürfen.
    Und jetzt korrigiere ich Test 1-10 zum Thema „ökologische, technologische, soziale und ökonomische Einflüsse auf Ihr Unternehmen“. Und dann ist es genug.
    Es schneit und schneit und schneit.

    Veraltete Lehrmittel

    18. Januar 2004, Elterngespräch:
    Ich spreche die Klassenlehrerin auf die Lehrbücher an. Ich flehe um ein Deutschlehrmittel mit neuer Rechtschreibung, ich bettle um Naturkunde aus einer Zeit, als die Stadt schon erfunden war. Die Lehrerin lächelt milde und meint, sie hätte halt kein Geld, es ginge nicht alles so schnell und mein Kind hätte ja weiss Gott kein Buchproblem. Ja, das ist es ja! Das darf doch nicht sein! PISA! Die Dienstleistungsgesellschaft, die einfach keine halbe Million albanische Chauffeure wird beschäftigen können. Unsere Altersvorsorge! Ich beschwöre die Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtschreibung für die 90% Kinder anderer Mutterspache, zitiere die Erkenntisse der vereinigten Logopädinnen und Logopäden, die bezeugen, dass Kinder eigene Bücher brauchen, ich biete Hilfe, Spenden, Fundraising, was in meiner Macht steht. Sie lächelt noch milder und drückt zum Abschied mitleidig meine Hand. Das Kind lernt weiter über die Höhlenmenschen im Buch von 1963, neu aufgelegt sechs Jahre vor Mamas Geburt.
    5. Dezember 2004, Gespräch mit einer Finanzverantwortlichen:
    Jede Schule bekommt einen fixen Betrag für Schulbücher für jedes Kind, ein Mathematikbuch, ein Lesebuch, ein Wörterbuch – alles post Rechtschreibereform, wenn auch die Sprachbücher noch verbessert werden könnten.
    1. März 2005, Brief an Schulkommission und Schulinspektor:
    Wir zeigen in zehn Punkten auf, dass und wie unsere Quartierschule die gesetzlichen Vorgaben missachtet. Punkt acht ist:

    Die Schule XY ist auch in anderen Bereichen davon entfernt, ihren Auftrag zu erfüllen: Die Kinder in der Klasse besitzen kein eigenes Lesebuch, Diktate werden nach alten Rechtschreiberegeln gelernt. Die Lehrmittel sind – abgesehen vom ausgezeichneten Mathematikbuch – nicht nur orthografisch veraltet, sondern auch inhaltlich überholt.

    8. August 2005:
    Das Kind kommt auf eine Privatschule. Hello Liberty, Goodbye Equality.
    6. März 2006 in „Der Bund“:

    Behörden schreiben den Lehrkräften Lehrziele vor, die auf neuen pädagogischen Erkenntnissen basieren. Aber sie stellen ihnen keine entsprechenden Lehrmittel zur Verfügung. […] Auf 2008 wollen der Berner Schulverlag und der Lehrmittelverlag des Kantons Zürich gemeinsam ein neues Deutsch-Lehrmittel für die Mittelstufe anbieten. Für die Praxis ist damit aber noch wenig gewonnen. Es gibt andere hervorragende neue Lehrmittel, die Berner Schüler jahrelang nicht zu sehen bekommen, weil der Kanton es nicht wagt, sie verbindlich zu erklären, und die alten Schulbücher die Gemeinden weniger kosten.

    Ich bin einfach nur müde. Und prinzipiell gegen Bücherverbrennung. Und als Lehrerin ein Vorbild. (Sonst käme ich noch auf die Idee Autositze anzuzünden, sie durch klirrende Scheiben in Schulzimmer zu schmeissen, all die zögerlichen Entscheidungsträger anzusengen und den ganzen antiquarischen Bestand an Deutschlehrmitteln für immer zu vernichten.)

    fadisieren = langweilen

    niemehrschule hat mir ein neues (österreichisches?) Wort beigebracht. Dort drüben melden die Lernenden „Indien!“, wenn ein bestimmter Lehrer langweilig wird. Da die Schülerinnen und Schüler in aller Regel nicht aufstehen und konstruktive Kritik äussern, ist ein solcher Platzhalter wirklich eine gute Idee. Ich habe mir überlegt, die Taktik auch anzuwenden.
    Bei uns besteht eine Stunde aus 45 Minuten und die didaktische Empfehlung lautet:

  • Ein Drittel Referat (von mir oder von den Lernenden)
  • Ein Drittel Partner- oder Teamarbeit oder Lehrgespräch
  • Ein Drittel Einzelarbeit
  • Ich halte mich daran ziemlich strikt und wenn ich versage, ist es jeweils bei der Einzelarbeit. Weil die doch immer wieder mit Tuscheln beginnen. Warum sollte ich intervenieren, wenn sie über den Unterrichtsstoff flüstern? Ich weiss nicht, ob es mir gelingt, sie in meiner Viertelstunde Redezeit so richtig zu langweilen, so sonor ist meine Stimme auch wieder nicht. Doch vorschlagen kann ich die Interjektion ja.
    Aber nicht „Indien!“. Lieber „Haiku!“.

    Klarheit zum Ersten,

    Bildung von Kindern ist wie Luft. Unmöglich ihren Anfang und ihr Ende zu bestimmen, sie atmen sie immer und überall. Wir müssen die Bildung hier und jetzt gemeinsam klar und gesund behalten. Denn wir haben ein Ziel: Dass sich die Kinder in ihrem Umfeld sicher bewegen und gut entwickeln, dass sie als Erwachsene einen passenden Beruf finden und unabhängig leben können. Sippschaften, Ressentiments und die Träume der Eltern haben nicht Prioriät. Denn dass die Kinder unsere Welt bekommen werden, ist eine Tatsache. Es ist in unserem Interesse, dass sie sicheren Boden unter den Füssen haben und nicht völlig zerrissen sind, wenn sie dereinst das Ruder übernehmen.

    Wer sich für die „Tamilische Schule“ interessiert hat, will vielleicht auch den ausführlichen Kommentar einer Vertreterin dieser Schule lesen. Das oben ist ein Auszug aus meiner Antwort, die quasi automatisch für mich zentrale Gedanken zur Integration integriert hat.