Kurs um Kurs

Heute habe ich im fernen Zürich einen eintägigen Kurs über Kurse gegeben.
Klingt blöd, war aber gut. Eine halbe schlaflose Nacht (Lampenfieber) zwar, aber dank wohlwollenden Kursteilnehmenden ist es eine schöne, runde Sache geworden.
Ich weiss nicht, ob das in anderen Ländern auch so ist, aber bei uns sind Kurskonzepte ziemlich häufig und wichtig geworden. Zum einen, weil man für eidgenössische Anerkennung das Bedürfnis nachweisen muss. Das heisst konkret, man muss ziegen, dass eine Branche diese Leute sucht und einstellt, die man mit eidgenössischem Segen weiterbildet. Zum anderen wegen der Dynamik in der Berufswelt und besonders im Dienstleistungsbereich. Ein Weiterbildungskurs – ganz unabhängig ob national oder ein Nischenprodukt – den man über drei Jahre unverändert anbieten kann, ist heutzutage ein Longseller.

Berufsbildung ist mir nie langweilig

Was ich an Meetings mit Menschen aus der Berufsbildung so schätze, ist zum einen die gegenseitige Motivation. Und mag das Wort noch so abgehalftert sein, für Anlässe wie den heutigen passt es genau. Man klopft einander zwar schon ein wenig auf die Schulter, aber alle wissen, dass das erst der Anfang war, dass nun geburtenschwache Jahrgänge kommen und Frimen um Lernende buhlen werden, dass die Volksschule uns weder Integration noch Begabtenförderung wird abnehmen können und dass noch tausend gute Ideen ihrer Verwirklichung harren. Das spornt an.
Zum anderen erfreue ich mich an solchen Tagungen gerne der Eintracht. Leute, die mir weit entfernt sind, Branchen, denen ich politisch misstrauisch gegenüber stehe oder gar Berufe, von denen ich kaum wusste, dass es sie gibt: alles interessiert mich. Vielleicht haben die etwas Neues versucht, was auf den eigenen Beruf, die eigene Schule oder Abschlussprüfung übertragbar wäre. Vielleicht haben sie eine Krise überwunden oder eine Lernplattform getestet, ein neues Modell für die Frauenförderung entwickelt oder sie erzählen einfach nur mit loderneder Leidenschaft davon, wie die Arbeit an Flügelhinterkanten (betrifft alle Klappen und Ruder wie ich seit heute weiss) in den Lehrplan integriert wird.

Klima: lernförderlich, Schnee auf 1000 m

Ich packe für ein Wochenende.
Weiterbildung in Unterrichtsangelegenheiten. Die wird mir dank der Bergluft besonders gut bekommen. Ich mag Kurse weg vom Arbeitsort.
Wir sind daran bemüht, unser pädagogisches Leitbild umzusetzen. Morgen geht es um „Klassenführung und lernförderliches Klima.“ Das ist unser Schwerpunktthema im kommenden Schuljahr.
Beschriebung:

Der Unterricht findet in einer lernfreundlichen Umgebung statt. Er ist leistungs- sowie zielorientiert und ermöglicht gemeinsames Lernen dank angemessener Disziplin. Die Lehrpersonen üben ihre Tätigkeit mit Freude aus, begegnen den Lernenden mit Wohlwollen und nehmen ihre Führungsaufgaben wahr. Sie haben eine positive Ausstrahlung, sind humorvoll und gelassen, offen und engagiert. Sie sind für die Lernenden da.
Konflikte werden lösungsorientiert angegangen.
Die Lehrpersonen und die Lernenden pflegen gegenseitigen Respekt und halten Regeln verlässlich ein.

Wirkung:

Die Lernenden sind motiviert, zeigen Interesse und Neugier. Sie erleben, dass Lernen Spass machen kann. Sie nehmen Rücksicht aufeinander und helfen sich gegenseitig.

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Ausreden einer Schusterin

Dass des Schusters Kinder vielleicht nicht gerade die schlechtesten, aber bestimmt nicht die besten Schuhe tragen, weiss ich aus eigener Erfahrung, als Kind wie als Mutter. Trotzdem zerknirscht mich mein Verhalten.
Aber heutzutage kann zum Glück schnell rehabilitiert werden, wer brav reflektiert und seine üblen Taten sich und anderen gut erklärt. Dass ich dem Kind heute bei den Hausaufgaben „**ZZ?!!**!!!“ (es will nicht, dass ich hier sage, was) entgegen geschmettert habe, lässt sich an nur zwei Punkten sowohl reflektieren als auch erklären:
1. Ich konnte das Hinausschieben der Arbeit und die Endlosargumentation an-schlechter-Leistung-sind-bloss-die-Umstände-schuld nicht mehr verarbeiten.
2. Das Kind musste als Stellvertreter herhalten.
Es handelt sich eindeutig um ein Abgrenzungsproblem. Einerseits von meinen Arbeitsplatz und andererseits vom Vermischen des Teenagers daheim mit denen in der Schule.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es:
Wie die Übung angehen?
Ich helfe dem Kind in guten Zeiten, seine Sachen selbständig zu machen, was auch bei gegenseitiger Enervierung und Vertreibung nachwirkt. „Hilf dem Kind, es selbst zu tun“ ist aber nicht von mir, sondern von Maria Montessori.

Begrüssungsfrage am Montag

Manchmal, sonntagabends, wünsche ich mir still, ich würde an einer Unterstufe unterrichten. So könnte ich montagmorgens mit einem ermunternden Lächeln auf meinem frischen Gesicht vor der Klassentür stehen und jedes Kind ansprechen und durch Händeschütteln begrüssen. Die Kinder strahlten, schenkten mir Schneckenhäuschen und schilderten begeistert die Erlebnisse ihrer Freizeit.
In der Berufsfachschule habe ich am Montag die erste Stunde (seit Ewigkeiten schon, und Montagabend sowie Freitagnachmittag gehören mir ebenso – kaum zu glauben, doch darum reisst sich einfach keiner). Und ich mache Montag gern, ich weiss, es ist für die Lernenden die erste Begegnung der Woche und ich möchte, dass sie gut beginnt.
Aber was ist gut bei einer Ansammlung von Leuten, die oft gähnend und etwas antriebsschwach in den Pulten hängen und sich eigentlich weg wünschen? In der Lehre hat man wenig Freizeit und die vielen Menschen, die befugt sind über einen zu urteilen, ermatten einen. Jedenfalls bei mir war das so. Was passt also?
„Guten Morgen!“ „Willkommen in einer neuen Woche!“ „Sind Sie alle da?“ „Hat jemand etwas von X gehört und ist Y immer noch krank?“ Für einen Wochenbeginn kläglich, ist es nicht?
Die Woche hindurch schiebe ich mich zwischen die anderen Fächer, die Leute sind ja schon verschiedentlich begrüsst worden und mehr oder weniger eingelebt. Und wie man Stunden gut beginnt, darüber sagt die Fachliteratur weissgott genug. Nur der Montag sollte irgendwie würdiger sein. Doch Beten und Fahnengruss fallen wohl weg. Ein Korb mit Montags-Äpfeln? Ein Montagsrätsel? Ein Montagswitz? Ein Montagsblues?

Schlecht geordnete Gedanken zur Toleranz

Für mich gehört das Lesen von Blogs nicht minder zum Bloggen denn das Schreiben in solchen. Um Beiträge und Kommentare wie die zur Toleranz (z.B. bei Liisa) zu lesen, gebe ich gerne ein paar Stunden Schlaf her.
Manchmal versuche ich, mich einem gesetzten Thema zu nähern und scheitere. Bloggen ist für mich eine authentische Angelegenheit und sobald ich mich anhänge, will ich zwanghaft originell sein. (Ich wäre niemals fähig, einen Fragebogen ehrlich zu beantworten.)
Wenn mich eine Thema schon vorher argumentativ beschäftigt hat wie die Mohammed-Karikaturen oder Banlieu, kann ich leicht und offen darüber schreiben, auch wenn es ganz viele andere ebenfalls tun. Unbekanntes oder meinungstechnisch Abgeschlossenes wie eben Toleranz kann ich bloggisch weniger gut aufgreifen. Aber drei Bemerkungen dazu habe ich nun doch:

  • Die Toleranz gegenüber Intoleranten habe ich mir (vor allem dank Freiwilligenarbeit im Quartier) abgewöhnt und fahre gut damit.
  • Zu meinen jahrelangen Stammgebieten der Intoleranz (= Rassismus und Ungelichbehandlung von Frauen) ist mit dem Kreationismus leider noch ein drittes hinzugekommen. Es ist anstrengend für mich als Hippiekind auch noch Gläubigen gegenüber intolerant zu sein, ich hätte gern darauf verzichtet. Aber in der Volksbildung geht Naturwissenschaft vor. Immer. Sonst können wir auch gleich zumachen und unsere Leute schön auf Koranschulen und Klöster verteilen.
  • Übrigens etabliert sich „Toleranz“ im Schulbereich schleichend als Schimpfwort. Ich schätze, im Moment befindet sie sich auf halbem Weg zur Mutter aller pädagogischen Reizwörter, der Antiautorität. Wenn es so weitergeht, wird die Toleranz im Schulwesen in wenigen Jahren nur noch von wenigen Ewiggestrigen betrieben werden.
  • Die heutige Jugend

    Ritter bemalen im Dezember 2007

    Ein Drittel der jugendlichen Handybesitzer hat im Freundeskreis den Austausch von gewalthaltigen oder pornografischen Inhalten mitbekommen.

    Aktuelle Untersuchungen zeigen: Über ein Viertel der Jugendlichen hört schlecht und fast 40 Prozent haben kein intaktes Gehör mehr.

    Auswirkungen von SMS-Sucht: Einschränkung von Aufmerksamkeit und anderen kognitiven Funktionen, Kreativitätsverlust, Sprachzerfall, finanzielle Schäden.

    Die Faszination ist unbestritten. (…) Chats, Games, MSN sind die ständigen Begleiter vieler Jugendlicher. Die Verlockungen sind mannigfaltig – das Suchtpotential ist eindeutig gegeben.

    Quellen in Reihenfolge der Zitate:

  • JIM-Studie 2007
  • Stiftung für Schadenbekämpfung der Winterthur, Januar 2006
  • Andreas Canziani in „Moderne Süchte und deren Folgen“, in der Zeitschrift Psychiatrie und Neurologie.
  • Vortrag Heinz Küng im September 2006: Internet als Lernort – was heisst das für die Schule?
  • Was ich schon lange sagen wollte 2

    Politisch sieht man es ja als Verrat an den eigenen Idealen, wenn Linke und andere Bildungsgläubige ihre Kinder in Privatschulen schicken und so die Volksschule schwächten. Auch in der Presse und der politischen Peripherie ist es ab und zu ein gern aufgegriffenes Thema. Nur bleibt die Frage unbeantwortet, ob es der Gesellschaft nachhaltig dient, wenn sie es nicht tun.
    Das Forschungsprojekt „Multikulturelle Schulen in Bern West“ ist für mich ein wichtiger Schritt auf einem langen Weg, die Probleme ohne Vorurteile zu benennen. Ich zitiere aus einem Artikel im soeben erschienen e-ducation 6:

    Im erwähnten Forschungsprojekt, das schulisch-institutionelle, politische und stadtentwicklerische Fragen miteinander verknüpfte, wurden drei Schulen in demografisch stark unterschiedlichen Kleinquartieren untersucht. In zwei davon beobachteten wir den Unterricht in je einer 5./ 6. respektive 7./ 8. und 8./9. Klasse und interviewten Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, Abwarte und Eltern. Dabei gingen wir davon aus, dass Schulen eine doppelte Aufgabe zu bewältigen haben: Einesteils gilt es für die soziokulturell heterogenen Klassen zuallererst, eine Gemeinschaft zu bilden, in der das akademische Lernen – selbst ein sozialer Akt – erfolgreich organisiert und durchgeführt werden kann. Andererseits stehen das akademische Lernen und Fragen der Selektion im Zentrum, welche die spätere Bildungslaufbahn der Kinder wesentlich beeinflussen. So machen das soziale Lernen (abzielend auf den Habitus nach Bourdieu) und das akademische Lernen (abzielend auf die Beherrschung des Stoffs) zusammen den Bildungserfolg aus.
    Wie bewältigen nun Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler in Bern West die doppelte Aufgabe des sozialen und akademischen Lernens? Es lassen sich folgende Tendenzen feststellen: Je grösser der Anteil von Zugewanderten und Kindern aus sozioökonomisch belasteten Milieus in einer Klasse, desto mehr Energie wird ins soziale Lernen und die
    Gemeinschaftsbildung investiert – und zwar zum Nachteil des akademischen Lernens.

    (Hervorhebungen von nja. Ein Blick auf den ganzen Artikel lohnt sich schon wegen dem Bild am Ende.)
    Kinder, die in Bern West das „soziale Lernen“ weitgehend mitbringen und vorwiegend für das „akademische Lernen“ die Schule besuchen, erwecken Misstrauen. Eltern, die intervenieren, werden oft abgestempelt. Entweder als solche, die ihre Bälger heillos überschätzen, oder als solche, die halt selber schuld sind, „wenn sie an so einer Adresse wohnen.“ Die Ausgrenzung derer, die lernen wollen, nimmt ihren Lauf und bisweilen brutale Formen an.
    Ich weiss aus leidvoller Erfahrung und stundenlangen Gesprächen mit anderen Eltern (auch mit ausländischen), dass sie sehr viele Giraffen vorbeiziehen liessen, bevor sie etwas gesagt haben. Und dass sie lange – zu lange! – zugeschaut haben, wie ihren Kindern der Lernwille abgewöhnt wurde, bevor sie sich zu einem Wechsel entschlossen. Es ist absurd zu glauben, Familien verzichteten begeistert auf ihre Ferien, um die Privatschule berappen zu können. Und die Annahme, Privatschuleltern seien reich, stimmt seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor dreissig Jahren schon hat sich meine Mutter für den Steiner-Schul-Bazar die Finger blutig gestrickt, weil man so einen Teil des Schulgeldes abarbeiten konnte.

    Lehrbegleitung

    Heute war ich an einem Weiterbildungsabend für Lehrbegleiterinnen und Lehrbegleiter. Da viele unser Berufsbildungssystem nicht in jeder Facette kennen, hole ich etwas aus. Ich setzte das informative Beigemüse zwischen Sterne, damit man es überspringen kann. Es ist nicht wichtig für das Verständnis des übrigen Beitrags.
    ***
    In der Schweiz hat die Berufslehre einen sehr hohen Stellenwert. Am Ende steht ein Lehrabschluss mit der beruflichen Fähigkeitszeugnis. Für die Ausbildung zuständig sind:

  • Der Ausbildungsbetrieb
  • die Berufsfachschule
  • die Branche des entsprechenden Berufes
  • „Lehrbegleitung“ weiterlesen

    Gemütslage

    Es ist die helle Freude, engagierte Leute im Team zu haben. (Vielleicht hiesse es „engagierte Lehrende im Kollegium zu haben“ – ich bin unsicher, da wir uns rhetorisch in einer permanenten Übergangsphase befinden. Wie die meisten Schulen des 21. Jahrhunderts.)
    Eigentlich spielt die Hierarchie überhaupt keine Rolle, Engagement und Professionalität nützen immer (deshalb auch der Mittelpunkt unserers Leitbildes). Trotzdem ist es besonders überraschend, wenn man einer neuen Lehrerin bloss ein klitzekleines Textverarbeitungs-Lektiönchen anbieten kann und sie von der ersten Minute an Mut und gute Ideen hat.
    Anstatt „Vorstellungsrunde“ machte sie „Gemütslage“:
    Stimmungsmache
    Am Anfang verteilte sie jeder Lernenden drei rote Punkte. Diese passend zu vergeben brauchte mehr Zeit als erwartet, die Lernenden nahmen die Befragung sehr ernst. Deswegen liess sie am Ende der Stunde nur noch einen grünen Punkt pro Person kleben.
    Resulatat nach ihrer ersten Lektion: 22 Gemütslagen, davon 19 positiv besetzt!
    Hach! Als ich dieses Fach erstmals besuchte und zu Ländler auf die Hermes einhackte, hatte meine Lehrerin nicht den geringsten Gedanken an meine Existenz, geschweige denn an meine Gemütslage verschwendet. Sie hat ihre Nägel lackiert. Genau wie jedes darauf folgende Mal.