Bei den welschen Kollegen

Gestern haben wir in kleiner Delegation die l’Ecole professionnelle commerciale de Lausanne (EPCL) besucht. Das war – abgesehen von der trostlosen Erkenntnis, kaum Frazösisch zu können – eine sehr gute Sache.
Diese kaufmännsiche Berufsfachschule gehört wie unsere zu den grössten der Schweiz, es werden dort 4’000 Azubis unterrichtet. Die angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler reisen aus allen frazösischsprachigen Kantonen an.
Die Kolleginnen und Kollegen an der EPCL waren sehr zuvorkommend. Vieles ist an unseren Schulen ähnlich, aber ebenso vieles ist ganz anders. Und das Andere ist natürlich das Lehrreiche.

  • Ihr Kollegium ist gemessen an der Schülerzahl viel kleiner. (Sie haben höhere Pensen, v.a. die Frauen. Das wäre für mich auch bei uns wünschenswert.)
  • Die letzten ernsthaften Renovationen liegen 30 Jahre zurück. (Bei uns wird schon nächsten Sommer wieder renoviert. Also nie mehr jammern.)
  • Sie benutzen CLAROLINE, die Arbeit damit ist Pflicht, der Support wird durch Lehrer gemacht. (Wir benutzen Moodle, die Arbeit damit ist freiwillig. Ich würde gern auf etwas Sicherheit zugunsten von Unserfreundlichekeit verzichten und fände CLAROLINE, das ich schon ein wenig kenne, eine gute Sache. Die Pflichtbenutzung bei entsprechender Schulung und gutem Support ebenfalls.)
  • Sie investieren ihr Geld und ihre Kraft in die interne Kommunikation. Externe Kommunikation ist nicht standardisiert und wird je nach Bedarf gemacht. (Ich würde gern auch mehr intern investieren, aber nicht unbedingt auf Kosten der externen Kommunikation. Ich glaube, Eltern und Lehrfirmen in der Deutschschweiz haben in der Sache andere, höhere Ansprüche und ich bin häufig froh, einheitliche Unterlagen mit offiziellem Charakter zur Hand zu haben.)
  • Nur die Lehrpersonen führen die Absenzenkontrolle und informieren alle zwei Wochen die Lehrfirma. (Bei uns führen alle drei Seiten – Lehrperson, Lernende, Lehrbetrieb – die Absenzenkontrolle, Differenzen werden als „Unentschuldigte“ im Zeugnis vermerkt. Ich weiss nicht, was besser ist, um dem Grundsatz der Lehre „Schulzeit ist Arbeitszeit“ gerecht zu werden.)
  • Sie haben keine schulinternen Lehrpläne. Sie erstellen ihre Unterrichtspläne direkt aufgrund der Bildungsverordnungen in den verschiedenen Berufen. (Für mich ist schwer vorstellbar, wie wir ohne diese eine gewisse Einheitlichkeit pro Fach wahren könnten, denn Verordnungen lassen – zum Glück – einiges an Spielraum. Aber wenn das Kollegium kleiner ist, ist auch die mündliche Absprache einfacher.)
  • Sie sind durch und durch Schule und Non-Profit-Organisation. (Bei uns gibt es auch Teile, die nicht subventioniert werden, was zu einer Mischform von Schule und Unternehmen führt.)
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    Frustursachen bei Lehrern

    In den letzten beiden Tagen hat die neue Arbeitszeiterhebung der Lehrpersonen ein wenig Öffentlichkeit gefunden. Natürlich wurde sie auch kritisiert, weil sie auf Selbstdeklaration beruht. Aber das ist meiner Erfahrung nach völlig unerheblich. Egal, ob die Studien intern oder extern, per Selbstdeklaration oder per Fremdbeobachtung, Top-down oder Bottom-up gemacht werden, es kommt immer das Gleiche dabei raus: Lehrerinnen und Lehrer sind im Schnitt nicht faul, sondern fleissig, sie haben kaum mehr Ferien als andere und leisten ziemlich viele unbezahlte Überstunden.
    Ein Grossteil meiner Arbeit besteht darin, mit Lehrpersonen zu sprechen, ich bin daher immer froh um Fakten und Durchschnittswerte. Dass die Lehrpersonen den Grund für ihre Belastung und ihren Frust in der Adminstration und in den Reformen sehen, höre ich viel. Ich selber freue mich oft auf Neuerungen, aber ich leide ebenfalls unter ihrem Tempo, weil keine seriöse Planung möglich ist. Nachfolgend einige Beispiele für Veränderungen in den letzten 10 Jahren:

  • Einführung Schulleitungen, lokale Schulentwicklungsprozesse, Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen etc.
  • Einführung von Qualitätsmanagement, 360°-Feedback, externer Schulevaluation u.ä.
  • Beteiligung von Schulen an Leistungsvergleichen, Befragungen, an spezifischen Evaluationen
  • Maturitätsreform und Einführung der Berufsmaturität, neue Übertrittsregelungen
  • Einführung einer zweiten Fremdsprache in der Primarschule, Folgen für die abnehmenden Stufen
  • Einführung von Blockzeiten, Ausbau der schul-/familienergänzenden Betreuungsangebote
  • Andere Schülerpopulation, v.a. im städtischen Kontext
  • Integration von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern in die Regelklassen
  • In der Folge: Aufhebung von Kleinklassen
  • Delegation von Aufgaben wie Gesundheitsförderung/Suchtprävention an die Schulen
  • Verlegung der Lehrerausbildung an die Universität
  • Einführung von Schulsozialarbeit
  • Fachdidaktische Änderungen sind hier nicht dabei, also die Berufsbildungsreform, die mich beispielsweise auf vier Jahre verteilt bestimmt ein halbes Jahr Arbeit gekostet hat, sind zusätzliche Herausforderungen ohne Abgeltung. Genauso wie die neue deutsche Rechtschreibung oder die Umstellung auf Standarddipolome im Informatikunterricht.
    Ausser beim letzten der aufgeführten Punkte empfinden Lehrerinnen und Lehrer gemäss Umfrage diese Veränderungen einzig und allein als Belastung. Weshalb ist das so? Ich sehe dafür vier Gründe.
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    Kick-Off fürs neue Schuljahr

    Gestern hatten wir unsere „Einsteigtag“ ins neue Schuljahr. Morgens und sogar über Mittag waren Fachschaftssitzungen und Abteilungskonferenzen, nachmittags folgte dann die grosse Schulkonferenz. Unsere Schule zählt um die 500 Angestellte und das ist der Anlass, an dem ein grosser Teil von denen dabei ist. (Ich hatte extra den Fotoapparat mitgenommen, doch ist kein gutes Bild gelungen. Es können sich bestimmt alle vorstellen, wie ein Gross(informations)anlass in einer Schule aussieht.)
    Was ich gestern zu sagen und zu erklären hatte, ging gut über die Bühne; unsere Abteilungskonferenz ist zum Glück ein unkomplizierter Anlass. Nur etwas stört mich: Da Lehrpersonen per se verschiedene Funktionen haben und also oft an mehreren Konferenzen gleichzeitig sein müssten, sind leider nie alle dabei. So kommt es auch, dass sich das Team der Abteilung Buchhandel nie mit eigenen Augen als solches sieht. Entweder man ist an Veranstaltungen nicht komplett oder löst sich in der Masse auf. Das kann man sich in der Buchhandlung und auch sonst in der Privatwirtschaft nicht vorstellen. Ich musste lange lernen, dass die Berufsfachschule einfach eine Drehscheibe ist, die niemals still steht.
    An der grösseren Konferenz hatte ich auch noch fünf Minuten Redezeit, ich stellte unseren neuen Verhaltenskodex vor. Erarbeitet habe ich den gemeinsam mit anderen Abteilungsleitern und er war bei allen Lehrpersonen in der Vernehmlassung. Der Verhaltenscodex mit einer Handvoll Punkten, ersetzt ab sofort unsere zweiseitige Hausordnung. Weil es aber viele Lehrerinnen und Lehrer gibt, die genauere Regeln wollen, haben wir den Kodex durch ein ABC ergänzt, in das laufend neue Begriffe aufgenommen werden können. Auch individuelle Regelungen mit Klassen sind nach wie vor möglich, die dürfen aber dem Verhaltenkodex nicht widersprechen. Diese Lösung scheint bis jetzt einigermassen gut anzukommen. (Gesagt ist noch nicht gehört und gehört nicht verstanden und verstanden noch nicht angewandt… Ich weiss das schon und ich erwarte nicht, dass es schnell geht mit der Umsetzung. Dennoch bin ich ein wenig stolz und sicher, dass wir hiermit mehr Verbesserungen erreichen können, als mit einer minutiösen Top-Down-Hausordnung.)
    Und jetzt geh ich den 2. Teil vom 1. Teil von Kill Bill schauen. Das Samurai-Schwert ist fertig, ein neues Kapitel beginnt: „Showdown at House of Blue Leaves.“ Entspannung naht.

    Werkstau

    In drei Bereichen komme ich nicht vorwärts:
    Mündliche Prüfungsfragen: Es sind einige Seiten von der gegenlesenden Expertin zurück gekommen, die ich noch einmal überarbeiten muss. Sollte vor Auffahrt passieren, schaff ich aber wohl nicht. Vielleicht habe ich ein inneres, jährliches Prüfungsfragenkontingent, welches nun einfach ausgeschöpft ist.
    Adressänderungen: Ich kriege einen Haufen davon: privat, aus der Branche, auf Vereinen und Verbänden, in die ich irgendwie involviert bin, aus Arbeitsgruppen oder Politik betreffend. Und wenn ich das nicht umgehend erledige, kann ich mich nicht mehr aufrappeln (weil’s irgendwann zu viele sind).
    Fundraising, administrativen Begleiterscheinungen: Fundraising und Sponsorengewinnung ist nichts, was mir Mühe bereitet, im Gegenteil. Gerade im Buchhandel, wo mir die Leute vertrauen, ist das eigentlich eine schöne Arbeit. Doch die dazugehörige Administration ist manchmal schwierig in Angriff zu nehmen: Adresslisten, Bettelbriefe, Dankesbriefe, Dankestelefonate, Einzahlungsscheine, Belege für die Spenden… Das ist der Bereich, in dem ich mich am meisten dafür bemitleide, ausgerechnet in die Generation ohne Sekretärin zu gehören (denn ich bin ziemlich sicher, dass die nächste wieder nach einer solchen verlangen wird).
    Aber ich will nicht lange klagen, denn es gibt vital Erfreuliches: Die Testprüfungen der Abschlussklassen sind gut verlaufen, was ein Hinweis auf einen pannenfreien und für alle eträglichen Prüfungsablauf (im Juni) sein sollte. Und die Anmeldungen für die neuen Klassen (ab August) liegen im grünen Bereich, was heisst, dass ich die Lehrpersonen, denen ich eine Anstellung fürs nächste Schuljahr in Aussicht gestellt habe, auch wirklich beschäftigen kann.

    Schule und Social Communities

    Wir hatten damit schon eine Menge Ärger (gelangte bis in die Lokalpresse) und ich stelle fast erleichtert fest, dass es vielen anderen Schulen auch so geht. Im Moment ist es meistens Facebook, vor zwei Jahren war es eher myspace. Wobei der Ärger sich seit mehr als einem Jahrzehnt in ähnlichem Rahmen bewegt. Ob es nun die Neuerrungenschaft „Handy“ war oder bald die „Handy-Kamera“, ob „Gratis-Mailaccount“ zum Versenden von Liebesbekundungen bis zu Amokdrohungen oder ein Schul-Bashing-Blog: die Reaktionen auf allen Seiten blieben dieselben. Es ist die Mischung zwischen Ablenkung und Ventil, die auch Social Communities fürs Klassenzimmer (je nach Unterrichtsfach komplett mit PCs ausgestattet) attraktiv macht. Die meisten Azubis probieren es, die einen Lehrer beklagen das Übliche (Computer, Sittenzerfall, Kinderstube, Untergang Abendland), die anderen schicken sich darein, wobei diese Gruppe sich nochmal splittet in die, die gut reagieren und die, die effizient ignorieren.
    Nun merke ich bei uns erstmals eine Veränderung. Wir bieten schulintern aber freiwillig Know-how- und Austausch an, was – soweit ich das am Mittagstisch vernehme – Leute aus allen Gruppen interessiert. Das gefällt mir. Schiesslich sind Social Communities ja völlig in Ordnung, oft ganz angenehm und manchmal sogar nützlich. Sie gehören einfach nicht zu jeder Zeit überall und mit jedem Inhalt bedient.
    Persönlich habe ich unverhandelbare Regeln (was meine Induktions-gewohnten Azubis manchmal erstaunt): Kommunikation, die über das Schulzimmer hinausgeht, gehört nicht in den Unterricht. Wenn Lernende gegeneinander oder gegen mich Liebes, Übles, Unpassendes oder Wüstes äussern, liegt das – im Wortsinne – drin, also im Schulzimmer. Ich toleriere und ertrage einiges und Gesprächsthemen dürfen vielfältig und auch mal einfältig sein.
    Aber wenn ich beim Unterrichten nicht mehr weiss, mit wem ich es zu tun habe, weil ständig über diese Grenze hinaus gesimst, gechattet und gepinboarded wird, wenn im Schatten internetter Anonymität die Regeln des Zusammenlebens torpediert weden, habe ich keine Lust mehr, mich in den Dienst von Azubis zu stellen. Sollte ich meine (einfachen) Kommunikationsregeln nicht mehr durchsetzen können, lasse ich es lieber ganz. Eine Welt, in der Azubis Lehrer heimlich fotografieren, um sich im Netz über sie lustig zu machen, führt zu einer Welt, in der Lehrer mangelhaft Tests ins Netz stellen, um sich über die lustig zu machen. Und mit dieser Welt hab ich nun wirklich nichts zu tun, ganz egal ob „rechtliche Schritte“ möglich wären.
    (Noch ist es nicht soweit. Ich erinnere mich ungern an die zweiten Chancen, die ich in solchen Fällen nur mühsam beherrscht vergeben habe. Aber bisher hat es gereicht, und das ist gut so.)

    Lehrstellenkonferenz 2008

    Lehrstellenkonferenz 2008: Ascom, Bodenweid
    Heute Abend war ich an der kantonalen Lehrstellenkonferenz. Der Lehrstellenbericht, aufgrund dessen wir uns auf den runden Tisch, bzw. auf die (33!) runden Tische vorbereitet haben, ist noch nicht online. Aber ich werde ihn später verlinken.
    Das Ziel des kantonalen Erziehungs- und des kantonalen Volkswirtschaftsdirektors ist es, regelmässig möglichst alle Leute von der Berufsbildungsfront zusammen zu bringen. An dieser Konferenz treffen sich Politikerinnen, Verbandsfunktionäre, CEOs, Berufsfachschullehrerinnen und Lernende verschiedenster Berufsrichtungen.
    In der ersten Stunde werden die Evaluationen und Studien vertieft, Beispiele von Berufsbildungspiloten vorgestellt und Prognosen und Wünsche der grossen Lehrstellenanbieter des Kantons näher betrachtet.
    In einer zweiten Stunde setzt man sich an die erwähnten Tische und diskutiert zwei Fragen, die der Lehrstellenbericht aufgeworfen hat. Die Resultate der Diskussion sowie Vorschläge für Massnamen schriebt man auf das Papiertischtuch. Danach gibt es in Schlusswort der Regierungsräte Pulver und Rickenbacher, die zuvor von Tisch zu Tisch gegangen sind und sich „Hausaufgaben“ aus Bildung und Wirtschaft notiert haben.
    Zum Abschluss isst man gemeinsam in einer Kantine eines Lehrbetriebes, heute bei der ascom. Die wichtigsten Themen in diesem Jahr waren:

  • Die Angst der Industrie vor einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels durch die demographische Entwicklung (weniger Jugendliche).
  • Lehrvertragsauflösungen: Die Anzahl der Lehrabbrüche liegt in Bern leicht über dem Schweizer Schnitt, weil wir mehr Jugendliche mit erschwerten Startbedingungen haben.
  • Es gab auch dieses Mal wieder viel innovative Planung und neue Ideen, die ich leider müdigkeitstechnisch nicht mehr auflisten kann.
    Die Tischtücher wurden jedenfalls mit etlichen Vorschlägen von allen Beteiligten beschrieben und werden jetzt ausgewertet. Aufgrund dieser Notizen werden die Schwerpunkte für den nächsten Bericht bestimmt, der der Lehrstellenkonferenz 2010 vorausgehen wird. Mal sehen, was die Finanzkrise bis dahin aus dem Arbeitsmarkt gemacht hat und umgekehrt. (Ich hoffe bloss, dass die Berner im Oktober 2010 Pulver und Rickenbacher als Regierungsräte bestätigen.)
    Die, die hier schon länger mitlesen, ahnen es: So häufig ich mich über dieses Land auch aufrege, in solchen Momenten bin ich stolz darauf und speziell auf diesen Kanton.

    Mittägliches zur Schulwoche

    [Bloggen in meiner Mittagspause. Lange nicht gemacht.]
    Die vergangene Schulwoche war eine schöne. Ich blicke gern zurück, weil Erlebnisse attrakiver werden, wenn sie vorbei sind. Schule ist eigentlich eine ziemlich sentimentale Angelegenheit. Ehemalige lieben einen, Gegenwärtige nicht unbedingt. Knatsch aus der Lehrzeit geht im Berufsleben selten weiter, Freundschaft hingegen schon.
    Mir hilft im Alltag die Erkenntnis, dass die Berufsfachschule eine Art Ausnahmezustand ist. Wir wählen die Lernenden nicht aus, die zu uns kommen. Und umgekehrt wählen sie nur ihren Beruf – der Schule werden sie einfach zugeteilt. Weil Berufsfachschulen höchstens zwei Tage pro Woche besucht werden, haben die Lehrpersonen meistens über huntert Schüler und können nicht zu jedem eine persönliche Beziehung aufbauen. Sie können vieles tun, um ein gutes Umfeld zu schaffen. Aber im Einzelfall bleibt ihnen oft nur die Reaktion auf Probleme.
    Jugendliche zwischen der obligatorischen Schulzeit und der beruflichen Selbständigkeit müssen viele Hürden nehmen. Die, die eine Berufslehre machen, viele gleichzeitig. Die Pubertät und das Kennenlerenen einer völlig neuen Berufswelt, die Abschlussprüfung und die Stellenbewerbung passieren zur gleichen Zeit. Einer oder gar mehrere Umzüge und erste Beziehungsprobleme prägen die Lehrzeit ebenso wie häufige Wechsel des Arbeitsumfeldes, weil Lernende ja möglichst alles in der Firma sehr sollen.
    Das habe ich im Hinterkopf, wenn ich mit Ausbilderinnen und Ausbildern spreche. Gerade jetzt, wo die neuen Lernenenden für Sommer 2009 gesucht werden, beträgt meine wöchentliche Telefonzeit manchmal fast einen ganzen Arbeitstag.
    Aber einen Katalog für Lehrabbruchrisiken und Schulversagen werde ich nie herausgeben. Auch wenn es effizienter wäre. Die Risiken sind bekannt, sie werden in der Schweiz sehr seriös erhoben und führen zu ausgezeichneten Massnahmen (hier sind wir ein bisschen wie Pisa-Finnland, bekommen regelmässig internationales Lob und empfangen Delegierte aus der ganzen Welt, weil unsere Jugendarbeitslosikeit so tief ist).
    Ich bedaure auf der einen Seite, dass Firmen nicht mehr darüber wissen und während ihrer Auswahlverfahren immer wieder ähnliche Fragen stellen. Auf der anderen Seite bin ich sehr froh. Denn jedes statistische Risiko ist ein Durchschnittswert und Durchschnitt ist eben fast niemand.

    Der Umbruch beginnt. Morgen.

    Nach den vielen Papers und Workshops über „Basisstufen“, die niemand umsetzen kann und „Integration statt Separation“, die kaum gratis geht, ist ein Artikel über die eigene schulische Realität eine wahre Wohltat. Ich kannte Anton Strittmatter bisher nicht, sollte ich aber, er hat sogar schon gebloggt. Klare Fragestellung, gute Rezepte, wenn auch in Sachen „freie Schulwahl“ anderer Meinung als ich.
    Nachfolgend ein von mir gewählter Auszug aus seinem Artikel zum Thema Schulleitung:

    (…) So füllt sich das Pflichtenheft der Schulleitungen mit einer nie dagewesenen Vielfalt von Aufgaben, deren gute Erfüllung von vier Gelingensbedingungen abhängen:

  • Es herrscht unter allen Beteiligten eine schulgerechte Führungskultur. Diese respektiert die Schulleitung, aber auch, dass jede einzelne Lehrperson tagtäglich selber Führung ausübt und ein hohes Mass an Verantwortung trägt.
  • Schlleitungen müssen mit viel Zeit ausgestattet sein, damit nicht nur der sichtbare Organisationsaufwand, sondern auch der viel wichtigere Aufwand an Anteilnahme geleistet werden kann.
  • Die Leitungspersonen brauchen ein tiefes Verständnis von Führung einer Schule und ein breites Repertoire an Führungstechniken und -instrumenten.
  • Die Schulleitung muss in sehr gut geklärten Zuständigketen stattfinden können. Die heute noch zu sehr überlappenden und diffusen Zuständigkeitsverhältnisse mit bis zu vier parallelen Führungslinien sind Gift für erfolgreiche Schulführung.
  • PDF des Artikels Schulleitung im Umbruch (aus links.ch 08.08).

    Hufeisen

    Am Freitag hatten wir Kollegiumstag inklusive Konferenz „meiner“ Abteilung Buchhandel. Wir haben entschieden, nun in unseren beiden Schulzimmern erstmals mit der Grundbestuhlung „Hufeisen“ ins Schuljahr zu starten. Bis jetzt mussten die Lehrpersonen umdisponieren, die Hufeisen (oder Kreis oder Inseln) wünschten. Dieses Jahr müssen die am meisten umstellen, die Reihen bevorzugen.
    Hufeisen im 1. Schulzimmer
    Hufeisen im 2. Schulzimmer
    Ich freue mich über diese Veränderung. Diese Sitzordnung erleichtert die Kommunikation, weil die Gesichter näher sind und auch die Lernenden einander besser sehen.

    Sehnsucht nach Sachlichkeit

    [Vorsicht bei der zweite Hälfte: Jammerbeitrag.]
    Ich streite mich gerade mit mir selber darüber, ob die Arbeit einer Lehrerin oder eines Lehrers auf Schuljahresende zu- oder abnimmt. Einerseits sind immer weniger Lernende da, weil ja die Abschlussklassen nicht mehr zur Schule kommen, sobald sie die Prüfungen abgelegt haben. Bei uns bewegten sich dieses Jahr beispielsweise 1029 Lernende weniger „auf der Anlage“ (wie das die Hausmeister zu nennen pflegen), was unseren Alltag durchaus veränderte.
    Eigentlich mag ich diese Zeit. Die Lernenden aus den laufenden Lehren haben Zeugnisschluss und es gibt nur noch einige Nachholtest zu schreiben und zu benoten. Wir befassen uns mit Bedürfnisabklärungen fürs nächste Schuljahr, machen Zufriedenheitsumfragen, gehen vielleicht noch einmal kurz auf Dinge ein, die weniger gut gelaufen sind und bedanken uns besonders für gutes Verhalten und angenehme Zusammenarbeit. Klassen, die auf das neue Schuljahr neue Lehrpersonen bekommen, schreiben Abschiedskarten für die alten und gehen Glacé essen. Wir bereinigen Uneinigkeiten bei Absenzen und versuchen auch dann noch einigermassen bedeutsam zu unterrichten, wenn es nicht mehr relevant für die Noten ist.
    Obwohl viele Kolleginnen und Kollegen davor gewarnt hatten, ihr Kerngeschäft zugunsten von Bürokram vernachlässigen zu müssen, hat mich der administrative Aufwand, der vor allem am Ende und Anfang von Schuljahren anfällt, lange kalt gelassen. Für eine Backoffice-Tante des Buchhandels ist Administration höchstens positiver Stress. Heute jedoch schaffe auch ich es nicht mehr, die Beurteilungen, Kommuniqués, Verordnungen, Klasseneinteilung, Stundenplan-Feinplanung, Materialgelderhebungen, Lehrmittellisten, Softwareevaluationen und Promotionsprobleme zu bewältigen. Das heisst konkret, dass ich das – will ich es nicht nur halbpatzig machen – in den Schulferien tun muss. (Erzählte mir das jemand, der so wenig wie ich unterrichtet, hielte ich ihn garantiert für ineffizient.)
    Die Hälfte der schulfreien Zeit reicht für die qualitativ hochstehende Bewältigung administrativer Schul-Arbeit aus, denn man kommt bekanntlich rasch vorwärts, wenn man nicht unterbrochen wird. In der anderen Hälfte der Schulferien kann ich den eigenen Unterricht vorbereiten, die Planungskonferenzen zum Schulstart besuchen, die eigene schulische Weiterbildung machen und an Tagungen und Kursen der Buchbranche teilnehmen.
    Würde der Mensch keine Erholungszeit brauchen, ginge das wunderbar. Nur leider zeigen die im mit Burnout ausgeschiedenen Lehrerinnen, Lehrer und Schulleiter ein anderes Resultat, nämlich „Error“. Und jeder, der fehlt, muss ersetzt werden: Klassen warten, Termine sind gesetzt. Und weil die Entwicklung der Lehrer-Roboter noch immer sträflich vernachlässigt wird, müssen Fehlende entweder von erfahrenen längst Ausgelasteten oder von neuen noch Unerfahrenen ersetzt werden. Und beide bräuchten Hilfe, die nicht zur Verfügung steht. Dass das dann wiederum neue Ausgebrannte zur Folge hat, ist einfach auszurechnen.
    Der Umgang mit den Herausforderungen der Schule kommt mir vor wie der Umgang mit den Herausforderungen der Migration: Politik und Gesellschaft bewegen sich zwischen Schönrederei und Verdammung. Logik und Sachlichkeit bleiben chancenlos.