Aller guten Dinge

Nach einer Woche, in der so vieles dringend war, dass fast alles Wichtige unterging – meine verhassteste Arbeitssituation überhaupt – freue ich mich doch über aller guten Dinge sind:

  • Der Hello-Goodbye-Pegasus ist erschienen und versandt. Dazu gibt’s eine Beilage mit einem Alphabet zum Schuljahr, damit die Buchhändler neben all den tabellarischen Infos auch noch ein wenig Prosa kriegen.
  • Das Kind hat die Maturarbeit „Wohnen in Beijing heute“ abgegeben und seine Maturlektüre in Deutsch, Französisch und Englisch ausgewählt; ich bin schon ein bisschen stolz auf das Niveau. (Kann gerade nicht fragen, ob ich Details bloggen darf und lasse es deshalb sein.)
  • Ich habe mir Nachtlektüre gekauft: Jeremias Gotthelf, Wilde, wüste Geschichten und Sibylle Berg, Vielen Dank für das Leben und das Diogenes-DU.
  • Gigant ohne Geist

    Eigentlich wollte ich heute Nacht die Debatte nachlesen, die die ZEIT-Community mit einem der Autoren des ausgezeichneten Artikels Gigant ohne Geist am 31.8. hätte führen können. Oder geführt hat. Leider finde ich sie nicht (zu müd oder beschränkt). Deshalb empfehle ich einfach das Original von Maximilian Probst und Kilian Trotier zur Lektüre – halt ohne Diskussion. Eine rundum gelungene Arbeit: Gute Recherche, frische Fakten, zusammengezogen aber nicht reduziert. Und die Prognosen kommen IMHO hin.
    Bald machen wir in der Schule einen richtig aktuellen E-Book-Workshop, mit supergut informierten Leuten, neuen Gertäten und und viel gesammelten Konsumenten-Inputs, an denen es ja nie mangelt. (Das meine ich nicht etwa ironisch, ich finde, dass man sich gemessen am Interesse und den Emotionen der Kundschaft den Buchhandel als glückliche Branche vorstellen muss.) Wir testen also bald die neuste Generation E-Reader, indem wir Accounts eröffnen, Downloads machen und die Anwenderfreundlichkeit und Qualität vergleichen.
    Obwohl auf dem besten Weg zur Fatalistin in Buch-Belangen, vermag ich mich auf derlei immer zu freuen.

    Vermerk für die Berufschronik

    Die ersten beiden Modultage in meiner kleinen Weiterbildungsabteilung sind rund verlaufen. Die Errors beschränkten sich auf Lösbares und inhaltlich sind wir gut vorangekommen. Das klingt jetzt total normal, aber ich sitze eigentlich nur aus tief verinnertlichten protestestantischen Gründen nicht mit Champagner in der kühlen Badewanne. (Ich habe vor 13 Jahren, als sich das neue Berufsbildungsgesetz ab- und der Buchhandel noch steigende Umsätze verzeichnete, die ersten Notizen zu diesem Lehrgang gemacht.)

    Nix Gutes ausser: Tut es!

    Nach allen vorbereitenden Sitzungen und Konferenzen in der letzten Woche bin ich dank dem Wochenende doch noch fertig geworden mit der Nachlese der Branchenpresse von Juli und August. Es gibt ja im Allgemeinen wenig Gutes zu berichten über die Buchbranche. Umso wichtiger für mich, die Branche zu hören, Interviews mit Einzelnen zu lesen, einzelne Umsatzkurven zu sehen, die auch heute noch nach oben zeigen und mir die News der originellen Nischengeschäfte zu Gemüte zu führen. Die Branchenpresse zu studieren ist für mich ein sportliches Vergnügen, ich mache mich fit für aktuellen Unterricht, für hoffentlich adäquate Fachgespräche und kann mich dank der Lektüre zuversichtlich den neuen Buchhändler-Klassen stellen.
    Good News:
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    Branchengefühle

    Manchmal muss ich schon viel guten Willen aufbringen für meine Branche. Wenn für irgendetwas Neues die fachliche Kompetenz fehlt zum Beispiel. „Ok, dann schreiben wir das doch in die Lernziele,“ sagt sich dann der geneigte Buchhandel. Das mag zielführend scheinen. Wenn Fleischer merken, dass sich Schwein schlecht absetzt, dann entscheiden sie, ihren Lehrlingen die Schlachtung von Schafen beizubringen. Vielleicht lassen einzelne die Schweinezucht ganz bleiben und lernen und lehren „halal“. Aber „halal“ ist nichts Neues, das können einem viele beibringen. Doch wenn man – wie ich – Referenten für das suchen muss, was noch niemand kann, ist das gelinde gesagt unangenehm. Man schwindelt und erfindet und hält den Daumen in die Luft. Die Suche nach Leuten, die bereit sind, das Neuste im Buchhandel zu unterrichten – das gehört zu den schwierigsten Akquisen meiner Laufbahn.
    Dann wieder muss ich einfach lachen über den Buchhandel. Zum Beispiel die Überschrift in der Branchenpresse zur Umsatztalfahrt, an der der stationäre Buchhandel nochmal viel mehr leidet: „Im Juni, im Juni geht’s weiter nach uni“ (will heissen: Im Juni geht’s weiter nach unten). (Diesen Sommer brauchte ich im Freibad oder auf der Restaurantterrasse gar nicht mehr nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten. Die, die kein Gerät, sondern einen Zeitung oder ein Buch in Händen halten, gehören eigentlich immer zu meinem Bekanntenkreis.)
    Und zuletzt bin ich stolz auf die Buchbranche. Ich weiss nicht wie, aber sie schafft es immer wieder originelle, witzige, tüchtige und interessiete Menschen zu finden, die unseren Beruf lernen. Wir diplomieren jedes Jahr junge Leute, die auch in einer Bank, an der Uni oder einer Kunstschule reüssiert hätten. Zum Thema: Die Fotos unserer Abschlussfeier.

    Prüfungsanachronismen

    Wir sind fast fertig mit Korrgieren und ich finde es jedes Jahr beeindruckend, die Büros voller Boxenstapel mit erledigten Prüfungen zu sehen. In unserer Schule wurden in den letzten Wochen Tausende von Prüfungen geschrieben und korrigiert und in der Summe steckt enorm viel Arbeit dahinter. Blut selten (höchstens, wenn sich jemand am Papier schneidet), aber Schweiss und Tränen immer!
    All die viele Handarbeit für Kandidatinnen, Lehrer und Expertinnen hat auch etwas Anachronistisches. Meistens müssen die Prüfungskandidaten noch von Hand schreiben, selbst wenn das im Arbeitsleben in den Berufen, die wir lehren, keine wichtige Kompetenz mehr ist. Die, die korrigieren, tun das ebenfalls von Hand und in der Folge ist auch die Eingabe der Ergebnisse im Sekretariat manuell. Und alles wird sicherheitshalber immer zweimal gemacht.
    Wie froh können wir da um Reformen sein! Viele Neuerungen zielen darauf ab, die Anzahl Prüfungen oder die Prüfungsdauer zu reduzieren. Prüfungen sind nicht immer nötig, deren Resultate nicht immer wahrhaftig und – wägt man Kosten und Nutzen ab – in einigen Fällen von zweifelhaftem Wert. Mag sein, dass eine Reduktion der Anzahl Prüfungen den einen oder anderen Lehrabschluss ein wenig erleichtert, was natürlich einige stört. Aber eigentlich war es schon immer viel wichtiger, sich in seinem beruflichen Umfeld zu bewähren, als zu jeder Handlungskompetenz zwei oder gar drei Prüfungen zu bestehen.
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    Pfingstwochende

    Über Pfinsten habe ich viel von Hand gemacht, konnte gerade nicht mehr mit Computer. Das war sehr erholsam und dass ich heute eine Menge Belistiftgekritzel abtippen muss, stört mich nicht. Ich habe vor allem den Vergleichtest eines ganzen Jahrgangs korrigiert, der gut ausgefallen ist. Es ging um die beiden Buchhandels-Themen „Remission“ und „Inventur“. Remission ist etwas Spezifisches, das im übrigen Detailhandel nicht üblich ist. Es bedeutet die Rücksendung von Büchern an den Lieferanten zur Gutschrift. Diese Regelung gewährleistet, dass die Buchhandlungen eine akutelle Auswahl haben, aber ohne den permanent Ausverkaufsdruck und das entsprechend mühsame Pricing.
    Ob und wie viel ein Buchhändler remittieren darf und wie hoch seine Gutschrift dabei ausfällt, ist dieversen Regeln unterworfen, die Jungbuchhändler eben lernen müssen. Und Inventur gehört ja auch zu den Arbeiten, die Buchhändlerinnen am Lager verrichten. Deshalb ist es methodisch-didaktisch sinnvoll, das in der Berufsfachschule gleichzeitig zu vermitteln. Die einzige Hürde für die Azubis ist dabei, dass das verschiedene Perspektiven erfordert: Ein Buch, das seit einem Jahr am Lager steht und danach – glücklicherweise! – noch zum vollen Preis von CHF 28.00 verkauft wird und deshalb CHF 28.00 Umsatz bringt, ist hächstens noch mit dem Inventarwert von CHF 14.00 in der Buchhaltung. Wenn die Buchhändlerin es aber nach einem Jahr an den Lieferanten remittiert, bekommt sie dafür noch eine Gutschrift von CHF 12.00, obwohl sie es für CHF 17.00 eingekauft hat.
    Diese Sachverhalte in der Schule so zu erklären, dass ein Fünftel der Lernenden es verstehen, dauert vielleicht eine halbe Stunde, einige kennen das ja von der Lehrfirma schon gut. Damit es der Mehrheit klar ist, brauche ich ungefähr 300 Minuten pro Person. Davon sind 230 Minuten Unterricht in Globo (Lehrgespräch, Gruppen, Übungen) und 30 Minuten individuell, also mündlichen Erklärungen gegenüber Einzelnen und Korrektur. Ich schreibe bei den Testkorrekturen Kommentare und nicht nur Punkte hin, deswegen ist die Korrektur für mich gleichbedeutend mit individueller Erklärung.
    Ich hoffe, alle hier Lesenden hatten ein gutes Pfingstwochenende, wenige Sonderschichten und Nachtdienste. Guten Start in die Woche!

    Nachtzug nach Amsterdam

    Vor einer Wochen haben die praktischen Prüfungen begonnen. Sie finden erstmals in den Buchhandlungen (und nicht mehr in der Schul-Buchhandlung) statt. Letzten Freitag habe ich über zwei Stunden eine ganze Prüfung (mehrheitlch fotografisch) dokumentiert und mit Freude festgestellt, dass wir wirklich ein gutes Drehbuch und einen passenden Zeitplan haben. Morgen sind noch einmal zehn Prüfungen, danach sind wir fertig.
    Selber hatte ich keine Einsätze, meine grösste Herausforderung (als Chefexpertin) war die Verfügbarkeit. Als Ansprechperson für Lehrbetriebe, Expertinnen und die Lernenden hätte ich einfach weniger anderes zu tun haben sollen. Aber der Schulbetrieb lief völlig normal, zudem mussten Stundenplan und die schulischen Prüfungen fertig werden. Ich lief manchmal derart auf dem Zahnfleisch, dass ich mir während meines Unterrichts Dextro Energy verabreichen musste. Immerhin hatte ich stets genug dabei, um den Schülerinnen und Schülern auch davon abzutreten. (Klingt wie Werbung, aber das war einfach, was unsere Mensa führte.)
    Morgen also noch einmal wie oben, am Dienstag dann eine andere Rolle, nämlich lauter Kadertermine. Abends ein willkommener Wechsel, denn dann steige ich mit einer unserer Abschlussklassen in den Nachtzug nach Amsterdam.
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    Theaterliches

    Die ersten drei Wochentage waren hier dramatisch:
    Am Montag hat unser Theaterfreifach zum „Abend der offenen Kellertüre“ eingeladen. 12 junge Leute haben fast ein Jahr an den Improvisationen gearbeitet, immer in ihrer Freizeit, das meiste selbst geschrieben, einige Szenen sogar vollständig. Sie haben neben Schule und Arbeit Nachtschichten eingelegt, Krisen überwunden, Kostüme mitgebracht, CDs gebrannt, die Bühne – die nichts als ein spnnateppich belegter Kellerboden ist – zig Mal umgebaut. Das, was man der „heutigen Jugend“ eigentlich gar nicht zutraut. Wunderbar!
    Und ich hatte je drei Lektionen Stellvertretung in zwei Klassen, die mich sonst nur eine (sehr straffe) Lektion vor der Nase haben, was beidseitige Umgewöhnung erforderte. Zumal ich versuchte, das Programm des Deutsch- und Literaturlehrers beizubehalten: Zuerst eine Lektion Haupt- und Nebensätze und dann zwei Lektionen Shakespeare: Romeo und Julia. In solchen Momenten bin ich der Steinersuche für die elenden Theaterproben und Rezitierereien verdammt dankbar.
    (Und wie saumässig sich der alte Capulet seiner Tochter Julia gegenüber benommen hat – das hatte ich ganz vergessen. Also, wer in Sachen Vaterehre in Form Töchterjungfräulichkeit einmal etwas anderes lesen möchte als die deutsche Presse, der führe sich Romeo und Julia, dritter Akt zu Gemüte.)
    Theatergarderobe vom 30.4.2012