Zum Schuljahresbeginn

Es gehört zum Schulanfang einer Abteilungsleiterin, dass er steil ist. Gründe sind eine Vielzahl von Unwägbarkeiten und Zielkonflikten. Aber die erste Woche – das heisst, der Start mit den Lehrpersonen – ist gut verlaufen. Am Freitag hatten wir einen recht angenehmen Konferenztag. Trotz der Hitze haben alle durchgehalten und waren glaub ich sogar froh, nicht zu viel interaktiv- oder -disziplinär machen zu müssen, sondern zuzuhören. Der oberste Chef, Regierungsrat und Erziehungsdirektor Bernhard Pulver, hielt eine meines Erachtens ausgezeichnete Rede, in der er viel Wert darauf legte, dass universitäre und berufliche Bildung sich nicht gegenseitig schlecht machen sollen. Es ist nämlich so, dass in allen Regionen (in der Schweiz sieht man das im kantonalen Vergleich sehr deutlich), in welchen die Berufsbildung stark und angesehen ist, Gymnasien und Universitäten ein höheres Niveau haben. (In der Schweiz studieren nur ein Viertel der Jugendlichen an der Uni, aber dafür alle an den einer der besten 200 Universitäten der Welt.)
Fachkräfte fehlen uns leider in beiden Bereichen – im praktischen wie im universitären. Weshalb ich mich mit meinen beiden vitalen Kollegien einmal mehr ins weite Feld der beruflichen Grundbildung aufmache, um Fachleute auszubilden, sie zu ermuntern, zu unterrichten, zu rügen, ihnen Fragen zu stellen und die ihrigen zu beantworten. Und sie vor allem zu lehren, dass unterschiedliche Antworten richtig sein können und auch solche, die wir noch gar nicht zu formulieren vermögen, weil sie in der Zukunft liegen.

Zum Schuljahresende

Gestern, als ich spät aus dem Büro nach Hause kam, um meine Ferien anzutreten, war mir danach überhaupt nicht zumute. Ich konnte an nichts anderes denken als das unerledigte Ungeheuer, das ich kampflos zurückgelassen hatte. Ich war am Nachmittag noch an einer Beerdigung gewesen, der Bahnhof lag im Tal, die Kirche auf dem Hügel und als ich sie endlich erreicht hatte und auf der Kirchenbank niedersank, erschien es mir unmöglich, diese je wieder zu verlassen.
Heute Morgen jedoch empfand ich den gestrigen langen Tag als guten Abschluss dieses herausfordernden Arbeitsjahres, denn er beinhaltete eine grosse Palette dessen, was meine Berufstätigkeit ausmacht: Ich beriet (einen brandneuen Lehrbetrieb für Kundendialog), ich plante (den Empfang der Neuen sowie Stellvertretungen), ich testete und verglich (Beamer, neue Hardware), ich rapportierte (ebendas), ich stürzte mehrmals ab (also die Verbindung zwischen Laptop und Monitor), ich dankte (allen Spendern und Helfern der Abschlussfeiern), ich überprüfte (Lehrplanänderungen, Lehrmittel) ich verabschiedete (lebendige und gestorbene Menschen), ich fühlte mit, ich gab Einsicht und Erklärungen (einer Kandidatin in eine Prüfung), ich beurteilte und formulierte (Leistungen abtretender Lehrpersonen), ich koordinierte (Mentorate für neue Lehrpersonen), ich genehmigte (Dispensationen), ich beantwortete Fragen (zur Stellenlage Buchhandel, wie schon der Presse ) ich versuchte zu ermuntern und half mit, zu überlegen (in ebendieser Sache) und ich schrieb (allerlei).
Ich weiss nicht, warum es so schwierig ist, das Schöne, Gute, Geleistete zu sehen und so einfach, das Schwere, Ungeklärte, Unbefriedigende. Aber es ist wohl der Grund, weshalb positives Denken, Spiritualität und Workshops für die Lebensmitte so gut laufen. Meine Lebenshilfe besteht momentan aus Klicken durch die Galerien unserer berührenden Abschlussfeiern…
Buchhändlerinnen und Buchhändler in Bern
Fachleute Kundendialog in Zürich

… weil das einfach gute Laune macht.
Jetzt gehe ich offline und fahre heute Abend in die Ferien. Ich gedenke das Rhonetal in der staufreien Stunde zu entern und vor dem neuen Stau wieder zu verlassen. Mehr Entschlusskraft brauch ich heute wohl nicht mehr –
Allen da draussen schöne Sonnentage! Tankt Kraft für die neuen Aufgaben, die der Herbst bringen wird. Vor allem für das Zusammenleben in diesem Land. Offenheit und Menschenfreundlichkeit werden dringend nötige Güter werden. Die können wir nicht importieren, die müssen wir selber herstellen. Der Sommer hilft.

Wochenbilanz (V)

Für mich war das eine ziemlich normale Schulwoche.
Neben allen Zwischentests gibt es hier jeden Monat einen grossen Grammatiktest auf allen Niveaus. Mit dieser Standortbestimmung wird sicher gestellt, dass die Lernenden einer Klasse mit den geplanten Themen zurechtkommen werden. Wer zwischen 10 und 30 Punkten von 40 erreicht, ist im richtigen Niveau – ich hatte 23, was als gut gilt. Aber ich verstehe die grammatikalischen Zusammenhänge nicht wirklich, mir hilft, dass ich viel lese. Ich versuche dabei, auf die Grammatik zu achten und Regeln aus dem Unterricht wieder zu finden.
Im Moment lese ich allerdings ein Buch mit vielen grammatikalischen Fehlern. Ich weiss nicht, ob das vor einer Prüfung gesund ist, aber das Buch ist zu gut, als dass ich damit aufhören könnte: Romain Gary, La vie devant soi. Ein arabischer Junge, der elternlos irgend in einem peripheren Ghetto in Frankreich aufwächst, erzählt seinen Alltag, den er mit einer übergewichtigen Jüdin teilt, die ein wenig auf ihn und andere Kinder von Prostituierten aufpasst. Ich schätze, es spielt irgendwann Ende Sechziger. Ein Meisterstück, dekoriert mit dem Prix Goncourt von 1975. A propos: Diese Woche hat es Literaturpreise geregnet im französischsprachigen Raum. Wer sich interessiert und den Werbevorspann erträgt, dem sei eine typisch französische Sendung hierzu empfohlen:
Prix littéraires 2014 : surprise et prises de risque
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Wochenbilanz (IV)

Es war erneut eine reiche Woche: Reich an Arbeit, an Herausforderungen aber auch an Begegnungen. Am Montag hatte mein Neffe Geburtstag und ich habe die erweiterte Familie nach einem Monat erstmals wieder gesehen. Das war schön. Ende Woche gab es im Bekanntenkreis meiner Gastfamilie einen Selbstmordversuch, was sehr traurig war. Noch ist offen, ob die junge Frau und Mutter zweier Kinder bleibende Schäden haben wird. Das bedrückt die Menschen hier. Aber die Sonne scheint wie im Frühling und vielleicht kommt ja doch noch alles gut.
Die Themen in der Schule waren wie immer mannigfaltig. Noch habe ich ein Durcheinander in meinen Arbeitsmappen, aber ich bin am Aufräumen. Zumindest teilweise ist es mir gelungen, einige Fortschritte im Mündlichen zu machen und auch anderes ist einigermassen geraten:
Ich habe alle Korrekturen in meinem neulich erwähnte Résumé verstanden und nachvollzogen. Ich wollte da ja einen normalen einseitigen Zeitungsartikel zum Thema Blocksiedlungen in höchstens 300 Wörtern zusammenfassen Ich hatte das gemacht, weil man dafür zwingend an Niveau zulegen muss, denn mit einfachen Sätzen ist das nicht zu bewerkstelligen. Und dazu wollte ich gern einmal wieder etwas ohne Zeitdruck schreiben.
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Ich kann meistens aus der direkten Rede den „discours rapporté“ konstruieren und bin dran, die „verbes déclaratifs“ zu lernen (komme ein andermal darauf zurück, es gibt so viel mehr als „dire“).
Für die indirekte Rede und auch für die korrekte Anwendung des Futur antérieur (ein weiteres Thema meiner Schulwoche) muss man sehr sattelfest in der Anwendung der Hilfsverben sein. Also liebe Bonne-Chance-Geschädigte: Es lohnt sich doch, die Verbes de l’hôpital zu büffeln.
Zwei Beispiele mit dem beliebten „être“:
„Nous sommes parties à 8 heures“ / Im discours indirect au passé:
– Elles ont confirmé, qu’elles étaient parties à 8 heures.
Excuse-toi et il te pardonnera / Im futur antérieur:
– Il te pardonnera aussitôt que tu te seras excusé(e).
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Zudem lernte ich noch die „expressions marquant le but“. Nach 15 Beispielen hatte ich dann verstanden, wann „afin que“ verwendet wird und wann „afin de“. Also: „Laisse l’ordinateur allumé afin que je l’utilise tout à l’heure“ und „Ils partent toujours un quart d’heure plus tôt afin d’éviter l’heure de pointe.“ Beim ersten Beispiel lässt jemand anderes den Computer laufen („afin que“), beim zweiten Beispiel sind’s die gleichen, die eine Viertelstunde früher losgehen („afin de“). Jemandem, der in Grammatik gut ist oder Sprache studiert hat kann man glaub ich einfach sagen, es hänge vom Subjekt ab. Aber bei mir reicht das leider nicht.
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What else? „Wochenbilanz (IV)“ weiterlesen

Bücherherbstliches

Meine innere Uhr sagt, dass ich spätestens jetzt für Frankfurt packen sollte. Sie irrt, aber es ist halt Herbst und damit die schönste Zeit für die Freunde des Buches. Ich verpasse:

  • Die Messe aller Messen.
  • Die hopefully good vibes der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.
  • Die 6. Nacht der B-Lesenen, allesamt Lieblingsbuchhandlungen von mir.
  • Die BuchBasel und die Verleihung des Schweizer Buchpreises.
  • Hier in der Romandie erscheint jetzt auch viel Neues. Aber den frischen Oktoberwind der deutschsprachigen Schweiz habe ich hier noch nicht gespürt. Dafür die Globalisierung: Shades-of-Grey ist das meist erwähnte Buch, sobald ich jemandem meinen Beruf nenne. Viele Frauen haben es gelesen, die Männer warten auf den Film.

    Nichts Schöneres als Beratung

    Es gibt für mich nichts Schöneres, als grad just zur Ladenöffnung am Morgen eine Spezialbuchhandlung anzusteuern, dabei schon auf dem Veloparkplatz einer fröhlichen Azubi zu begegnen und nach einem freundlichen Empfang mein Anliegen loszuwerden:

    Meine Nichte, 8 Jahre, und mein Neffe, demnächst 6 Jahre, machen mit meiner Schwester eine Kreuzfahrt. Zuerst reisen sie mit dem Zug nach Venedig, wo sie ablegen. Meine Schwester braucht Erholung, also bitte nichts zum Vorlesen und nichts Ökologisches, dass Kreuzfahrten der Umwelt schaden ist schon geklärt. Danke für eure Empfehlungen, ich bin offen für alles!

    Die Buchhändlerin (und Mitbesitzerin) vom Chinderbuechlade wiederholt, was ich gesagt habe und fragt kurz, welche Strecke sie ungefähr fahren werden, ob die Kinder lesen können und wollen und ob sie auch mit enttäuschenden Situationen in Geschichten zurechtkämen?
    Nach einer Viertelstunde habe ich aus einer reichen Vorauswahl meine persönliche Wahl getroffen, kaufe verschiedenste Titel und dazu wundersame Blätter, aus denen Kinder selber stabile Schiffe machen können, lasse mir noch ein Bilderbuch portofrei nachsenden und bin rundum zufrieden.
    Die Übergabe der Bücher an Nichte und Neffen ist eine Freude, erste bunte Papierschiffe werden gefaltet und schaukeln schon im Lavabo, während wir die Sachbücher trotz später Stunde ernsthaft studieren (unvermeidlich ist, dass dabei auch Schiffe untergehen).
    Am Abend des ersten Ferientages der Familie dann die Nachricht: „Erwachsene ruhen aus, Kinder fressen Bücher.“ (Ja, ja, sie haben auch iPad. Nein, nein, das beisst sich nicht.)

    Auswahl der verschenkten Schiff- und Meeresbücher für die Kreuzfahrt

    Pixi: 60 Jahre und kein Ruhestand

    Büchlein für in die Gesässtasche, die Skijacke, den Einkaufswagen, den Strandkorb, den Kindermund und die Hundeschnauze: Einfach dauerhaft.
    Ich habe vor Gezeiten an anderer Stelle schon zugegeben, dass ich ein Pixi-Fan bin. An Pixis gefällt mir ihre Anspruchslosigkeit an den User: Sie brauchen keine gute Behandlung und erfordern keine grosse Lektüre. Sie nehmen sich gesellschaftlicher Themen in einer einfachen Art und Weise an, sie erzählen Geschichten des Alltags. In unseren Breitengraden findet jeder ein Pixi, mit dem er sich identifizieren kann. Die Pixi-Handlung gehört nicht Helden oder Heldentaten, die sind höchstens Nebenprodukte. Pixi-Charaktere sind bescheiden oder werden es im Laufe der Story.
    Meine drei liebsten Pixis
    Nachfolgend ein paar Fakten zum Geburtstag: Pixis

  • wurden 1954 vom Verleger Per Hjald Carlsen ins Leben gerufen,
  • heissen nach dem englischen „pixy“ (Kobold),
  • sind 10×10 cm gross,
  • haben immer 24 Seiten,
  • sind heute durchgehend vierfarbig illustriert,
  • sind Soft-Cover-Bücher,
  • hatten im 20. Jahrhundert die passenden Reihen auf der Rückseite gelistet (Vorläufer „wem das gefällt…“)
  • enthalten heute auf jeder Umschlagsrückseite einen Spiel- oder Basteltipp
  • erscheinen heute in Serien von je acht Pixis,
  • sind eingetragenes Warenzeichen,
  • sind ein stehender Begriff und werden daher oft als Synonym für Mini-Bücher gebraucht,
  • sind wertvolle Sammelobjekte auch für Erwachsene,
  • sind bis jetzt die erfolgreichste Bilderbuchreihe aller Zeiten.
  • Dank dem Schweizer Buchhandel und der Pixi-Jubiläumswebsite für die Ergänzungen meines Buchhändlerinnenwissens.

    Das 116. Flügelpferd

    Kleinbuchhandlungen, die schliessen, Spezialbuchhandlungen ohne Nachfolge, Zeitungen, die nur noch für über 55-jährige gedruckt und Redaktionen, die verkleinert werden: Es bricht mir das Herz.
    Aber das hilft auch nicht. All die jungen Gehirne, die Informationen besser visuell ab Elektronik aufnehmen, beweisen, dass Bildung nicht mehr vom Zugang zu Gedrucktem abhängt. Heute verbessern sich Chancen schlicht und einfach durch Access.
    Vielleicht ist es wieder Zeit, Bücher als Luxus zu betrachten und sich etwas einzubilden darauf, sie zu besitzen, zu lesen und zu verstehen. Vielleicht brauchen Menschen Buchhandlungen, um frei zu werden von äusseren, dafür reich an inneren Bildern.

    Soeben erscheinen: Pegasus 116 samt Schuljahresinfo fürs Schwarze Brett.

    Erstaunliche Ausreden

    Wir geben ganz wenig und sehr selten Hausaufgaben in Berufskunde und wenn, sind sie meistens einfach und fast immer im Arbeitsalltag zu bewerkstelligen. Weil sie dennoch von vielen nicht gemacht werden, haben wir vor Jahren einmal beschlossen, einander die Ausreden zukommen zu lassen. Ein bisschen zum Dampfablassen, aber auch, um einander im Umgang damit zu schulen. Allen aus der Schule, die hier mitlesen, sei versichert: Die folgende Nachricht aus dem Kollegium ist alt, diese Azubis sind längst über alle Berge.

    Liebe Tanja,
    für den letzten Freitag sollten die Lernenden ja ein Foto mitbringen von einem Schaufenster oder von einem Büchertisch, ich habe dir davon erzählt. Wer es vergessen hatte, war also heute dran. Die Ausreden waren folgende:

  • Den Stick vergessen
  • den Stick auf dem Weg hierhin verloren
  • der Stick wäre da aber das Bild wurde komischerweise nicht gespeichert
  • um fünf Uhr früh fotografiert und es war noch Nacht, deshalb ist das Foto schwarz
  • die Kamera wurde gestohlen, gerade erst in der Buchhandlung
  • das Foto auf dem Handy ist leider überbelichtet, man kann nichts erkennen
  • meine Kamera wurde auch gestohlen („ah ja, was für ein Zufall!“): Nein, nein, das ist schon länger her….
  • Ich habe mich ziemlich amüsiert.