Corona News VI

In diesem Update geht es mir um die Veränderungen, die die Lockerungen im Schulumfeld mit sich bringen.
In meinem Kollegium ändern die schrittweisen Lockerungen wenig, das Distanzlernen geht an der Berufsfachschule weiter. Die Eltern unter den Lehrpersonen sind froh, sind ihre Kinder wieder in der Schule. Die Lernenden aus dem Buchhandel haben wieder mit der Arbeit in den Läden begonnen und erzählen ihren Fachlehrpersonen von neuen Herausforderungen wie Abstandregeln, welche sie durchsetzen möchten (was bei unwilliger Kundschaft schwierig ist). Die Azubis in den Callcentern sind weniger mit dem Unterricht und mehr mit ihrer praktischen Prüfung beschäftigt, in der sie ab morgen je vier Stunden telefonische Beratungen aus dem Home Office machen werden. Manche Lehrpersonen fürchten sich davor, bis zu den Sommerferien auf Distanz zu unterrichten, anderen kommt es gelegen. Die definitve Entscheidung, ob und wie weit die Berufsfachschulen wieder öffenen, wird nächste Woche erwartet.
In der Volksschule ging die Wiedereröffnung vor zwei Wochen mit relativ blanken Nerven und viel Unsicherheit vonstatten. Eine Freundin, die Lehrerin in der Unterstufe in einem sog. sozialen Brennpunkt ist, schrieb mir am Vorabend:

Denn es ist ein Ding der Unmöglichkeit, mit den Kindern nun noch alles durchzugehen, was ich ihnen in stundenlanger Arbeit auf dem jeweils geeigneten Kanal an Rückmeldungen gegeben habe. Sie die „Kommentärli“ durchlesen zu lassen und ihnen beim Verständnis zu helfen, würde einfach zu viel Zeit fressen, wir müssen jetzt vorwärts gehen. Doch, eine halbe Lektion fällt mir ein, werde ich investieren, damit sie zu zweit den Ordner angucken und einander die liebsten, schönsten und die für sie weniger interessanten Blätter zeigen. Yes, es muss eine zeitlich begrenzte Würdigung dieser Arbeiten und Blätter und Kommentärli geben, unbedingt! Und drei Kleber pro Kriterium sollen verklebt werden… Das gibt eine sinnvolle Randhalblektion. Und bestimmt habe ich danach ein Bild davon, wie wer gearbeitet hat, wie wer unterstützt werden konnte, ob stimmt, was ich mir notiert habe, für unser IF-Heilpädagogin. Morgen müssen wir alle Schüler*innen wieder ins Boot holen und irgendwie mit den einen aufholen, mit den anderen weiterfahren…

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Corona News IV

Corona s-w Corona farbig
Meine Schwester hat mir ein schwarz-weisses und ein farbiges Logo für die „Corona-News“ für mein Kollegium gezeichnet, wunderbar! Und ich habe in der schulfreien Zeit einen neuen Kodex erdacht: den Verhaltenskodex fürs Distanzlernen. Ich habe mich dabei von konkreten Vorkommnissen, die in der ersten Distanz-Phase zu Problemen geführt haben, leiten lassen. Auf alle diese Situationen sollte der Kodex eine Antwort haben oder präventiv positiv wirken. Manche machen Sudoku, andere spielen Schach. Ich knoble interkulturell und über jede hierarchische Stufe anwendbare Kodizes aus. Unseren allgemeinen Verhaltenskodex haben ein Kollege und ich vor dreizehn Jahren zusammen gemacht. Wir hatten vom neuen Chef den Auftrag erhalten, unsere 21 Hausregeln sprachlich zu überarbeiten.
Weil bald die Abschlussprüfungen beginnen würden, stehen dieser Tage eine Vielzahl von juristisch formulierten, wieder heruntergebrochenen und umformulierten Regeln zur Umsetzung an, die Lehrpersonen haben sicher nicht auf weitere gewartet. Deshalb verordne ich nichts. Ich orientere mich einfach persönlich und selbstkritisch daran. Und ich werde bei schwierigem Verhalten (egal von wem) darauf zu sprechen kommen. Ich hoffe, es wird nicht nötig sein.
Neben sehr müde bin ich auch sehr zuversichtlich für dieses noch nie dagewesene Quartal in neuer Lern-Dimension.

Corona News II

Wir versuchen an unserer grossen Schule für diese aussergewöhnliche Lage neue Kanäle zu etablieren. Dies, damit wir möglichst allen Anspruchsgruppen gerecht werden können und die Informationen leicht zuzuordnen, kurz und nützlich sind (Bennenungskonvention und jeder Betreff auf der Goldwaage). In den letzten drei Wochen habe ich das hauptverantwotlich für den Bereich Grundbildung aufgebaut. Dabei bin ich zwar drei Jahre gealtert, dafür ist meine Lernkurve steiler als die der der Ansteckungen.
Obwohl die meisten Fragen mit dieser allgemeinen Kommunikation über den ganzen Bereich Grundbildung hinweg beantwortet werden, schreibe ich einmal wöchentlich persönlich an das Kollegium der von mir geleiteten Abteilungen. Dieses besteht aus 31 Lehrpersonen, welche Azubis des Buchhandels und der Kundenservice-Center vom Homeoffice aus auf Distanz unterrichten, davon ca. 80 junge Menschen kurz vor dem Berufsabschluss. Das ist enorm herausfordernd. Ich möchte meine Lehrpersonen unterstützen und in ihrer Arbeit bestätigen ohne sie zu absorbieren. Gerne teile ich je einen Auszug aus den drei Newslettern. Ich bin offen für Austausch, Fragen und Inputs.
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Reflexion 2019: Berufliches

Beruflich war 2019 hochinteressant, in meinem Tagebuch findet sich eine lange Liste besonderer Erlebnisse und aussergewöhnlicher Tätigkeiten. Die Berufsentwicklung forderte mich vor allem bei den Fachleuten Kundendialog sehr, aber auch die Grundbildung im Buchhandel stand nicht still. 2020 beginnen wir Buchmenschen schon mit der zweiten offiziellen Überprüfung der Leistungsziele der sog. Bildungsverordnung von 2009, bei den Fachleuten Kundendialog sind wir daran, die Erkenntnisse der ersten nationalen Überprüfung umzusetzen. Ein wichtiger Teil meine Arbeit, aber was kann man sich darunter vorstellen? Zum Beispiel gibt es eine mündliche Abschlussprüfung in berufskundlichen, theoretischen Themen. Bei den Fachleuten Kundendialog könnten das Empathie, Teambuilding, Fragearten sein, bei den Buchhändlerinnen betriebliche Prozesse wie Wareneinkauf oder die Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems. Bis jetzt finden solche Prüfungen in der sog. ersten Landessprache statt, das heisst, in der Deutschschweiz in Deutsch, in der Romandie in Französisch, im Tessin in Italienisch. In einer Überprüfung wird dann beispielsweise zwischen Lehrbetrieben, Schulen und Verbänden diskutiert, so eine Prüfung teilweise in einer zweiten Landessprache zu machen. Die Folge für die Berufsfachschule wäre, dass Sprach- und Berufskundelehrperson gemeinsam unterrichten oder sich so stark in die andere Kompetenz einarbeiten, dass sie diese allein unterrichten können. Dies einfach als Beispiel von einer Veränderung, die einen enormen Einfluss auf die Arbeit eines Kollegiums haben kann. Und solche Neuerungen rechtzeitig und unter Einbezug der Beteiligten zu planen und in sinnstiftender Art auf allen Ebenen zu vermitteln, gehört zu meinen Aufgaben.
Es kommt mir vor, als hätte ich 2019 fast nur geschrieben, neben dem Pegasus und Protokollen und Berichten aller Art, auch viele kleine Texte, Einführungen, Weisungen, Titel für Kacheln auf unserer neuen Website; und endlos redigiert. Ich schreibe gern, weil es meinem inneren Chaos zur Ordnung verhilft. Aber es ist eben schon viel aufwändiger, als die meisten denken. Nur schon die Erkenntnis, dass „kurz“ mehr Zeit braucht, ist (trotz Blaise Pascals wunderbarer Erklärung, er habe keine Zeit für kurze Briefe) wenig verbreitet. So kriegte ich oft Sachen zum Formulieren auf den Tisch, „die ja nicht lang sein müssen“ und rackerte mich ewig ab damit.
Mein Jahr war geprägt von Stellvertretungen. Im Frühjahr im Bereich Marketing und Website, im Sommer vertrat ich die Fachverantwortliche und ab Schulanfang bis im Dezember verschiedenste Lehrpersonen. Ich bin froh, ist alles mehr oder weniger gut gekommen, und doch fühlte ich mich dabei nie agil, obwohl ich mir natürlich grosse Mühe gab, so zu wirken. Ich war einfach nur müde, ich hatte manchmal wochenlang keinen freien Tag.
2019 wurde ich nicht nur 50, sondern feierte auch mein 20. Jubiläum in der Schule. Zu diesem Anlass habe ich Anfang Dezember zum Apéro riche eingeladen und es kamen viele aus verschiedene Abteilungen der WKS KV Bildung: aus Finanzen über Reinigung, Direktion und HR bis zum Kollegium, was mich enorm freute! Auf meine kleine Rede wurde ich lustigerweise immer mal wieder von Leuten angesprochen, die selbst nicht dabei waren – ich nehme es als gutes Zeichen. Mein Highlight war die Deutschlehrerin, die an dem Abend für mich ihr HipHop-Shirt gesetzt hatte. Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass ich michbisweilen gern anders kleiden würde, als es mein Job das zulässt.
Wie viel es noch zu sagen gäbe! Aber ich lasse es nun dabei bewenden und schaue, was bei der Reflexion über das Ehrenamtliche herauskommt.

20 Jahre WKS

Lieblingsbild vom 20-Jahre-Jubiläum: Frau Hiphop in der Mitte.

Zum Schuljahresanfang

Ja, ich weiss, der ist längst vorbei! Ich werde dieses Jahr 50 und habe das zum Anlass genommen, noch in ein paar andere Dinge zu investieren als meinen Beruf: In seltsame Lektüren, in Feste und in Ehrenämter, die mich begeistern, selbst dann, wenn sie alles andere als rund laufen.
Die Schule hat gut begonnen, in der Abteilung Buchhandel mit 19 jungen Menschen sehr familiär. Die Klasse entwickelt sich wunderbar. Sie hat heute ihren ersten Pegasus erhalten, in dem sie natürlich mit einer ersten Vorstellungsrunde vertreten ist. Und ich konnte es nicht lassen, das Loblied aufs Buch:

Ein feiner Nachbar legte mir neulich ein Buch ans Herz: «Das musst du unbedingt lesen! Ich habe dabei die ganze Zeit an unsere Gespräche gedacht …» Das tat ich umgehend und fand nichts davon wieder. Schmälerte dies meine Lektüre? Ganz im Gegenteil! Es war die beste seit langem.
Die Einzigartigkeit geliebter Bücher entsteht nicht dadurch, dass ein Autor seine Empfindungen in Worte giesst, eine Autorin ihre Gedanken sprachlich kleidet. Die Kunst besteht in der Fähigkeit, Wörter und Sätze so zu formulieren, dass sie Gedanken und Empfindungen suggerieren. Individuelle, unvergleichliche.
Der Winter ist die beste Zeit, sich äusseren Reizen zu entziehen und inneren Bildern zu widmen. Bücher helfen uns dabei. Sie dienen dem ureigenen Bedürfnis des Menschen, das Dunkel zu erhellen.

Aufs Ganze.

Zum Weltbuchtag 2019

Ordnen ist menschlich und Schubladisieren eine erprobte Methode, den Wirren des Lebens zu begegnen. Warum sympathisieren wir dann mit Charakteren, die alles durcheinanderbringen? Von Romeo und Julia über Effi Briest und Pippi Langstrumpf bis zu Pettersons Findus und Lorenz Paulis bösem Pferd – lauter Figuren, die anders sind, als die Erwartungen an sie.
Wo wir dichter beieinanderleben und uns gleichzeitig ständig bewegen, transformiert sich die Gesellschaft in Windeseile. Stereotype bieten keinen Schutz, sondern verzögern überlebenswichtige Entwicklungen. Zumindest die, die gerne lesen, haben das immer schon geahnt – oder ist es sogar umgekehrt?
Hier setzt die Wirkung von Buchhändlerinnen und Buchhändlern ein: Wider Stigmatisierung und Stagnation mit beherzten Gesprächen, couragierter Sortimentsgestaltung und mutiger Kundschaft. Der Welt zugeneigt und den Menschen, die uns in ihr begegnen.

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Pegasus, zum 126. Male

Heute gibt es gute Gründe, zynisch zu werden und noch bessere, es sein zu lassen. Zum Beispiel unsere Begegnungen mit anderen. Das sind so viel mehr, als unsere Vorfahren es sich je hätten vorstellen können. Die Perspektive wechseln, Meinungen aufschreiben, anlesen und kommentieren, die eigene Position verändern, sich selbst und einander finden – das inspiriert, deprimiert, wirkt mal verdunkelnd, mal erhellend. Der Dialog ist zur Voraussetzung geworden für das Leben im globalen Dorf, die Dialogfähigkeit zur weltumspannenden Schlüsselkompetenz.
In Buchhandlungen treffen Menschen und ihre Geschichten aufeinander – wo gibt es mehr Begegnungen? Wir haben die hehre Aufgabe, Orte und Zeit für Empathie zu schaffen. Das Verständnis zu fördern, indem wir Bücher verfügbar machen und ein Umfeld erschliessen, das Menschen anregt, sich zu bilden. Nicht allein im intellektuellen Sinne, sondern zu dem, was sie sein möchten in der Gesellschaft.
In dieser Nummer geht es um die individuellen und vereinten Kräfte von Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die ihren Beruf gewählt haben, weil sie die Zukunft gestalten wollen. Überzeugt, am Ende der Gewissheit einen neuen Anfang zu finden.
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Moments in time

Das Schuljahr ist aus und damit enden auch viele Beziehungen, die für den Alltag prägend waren. Die hier Mitlesenden kennen es, doch viele Menschen meinen, die Schule sei träge und unbeweglich. Das Gegenteil ist wahr, Schule ist immer im Fluss und von grosser Resilienz. Jedes Jahr, wenn ich vor den Reden an den Diplomfeiern meine Agenda durchklicke und sehe, was ich mit diesen Klassen und Kollegien erlebt habe, erschüttert mich das fast schon. Es war so viel, es war teilweise so hart, manchmal so anrührend und schön.
Unsere Galerien der Feierlichkeiten sind online, „meine“ Feiern mit Buchhändlerinnen und den Fachleuten Kundendialog hinterliessen allüberall gute Gefühle. Die Lesung mit der sagenhaften Frau Gomringer wird noch lange nachklingen. Sie hat mir vor vollem Saal ein Kompliment für meine Vernunft gemacht, wow. Man attestiert mir Herzblut, Sozialkompetenz, Effizienz, Kommunikationstalent – aber Vernunft? Das wird mir unvergesslich bleiben.
Es ist so schön, die Menschen und Organisationen, die zu den Feiern beitragen, mit Impressionen zu versorgen! Ich schätze mich glücklich, dass wir uns einen Fotografen leisten, das ist bei vielen Schulen nicht möglich. Ich kämpfe intern dafür, dass wir hier Prioritäten setzen, auch in Zeiten von Handybildern – die ja einfach dazugehören. Nichts erreicht die Wirkung von guter Fotografie bei Verbänden, Spendern, Ehemaligen, Kolleginnen und Kollegen, der Floristin, den Catering-Powerfrauen, den Rednerinnen und Rednern, den Abschlussklassen und bei mir selber.
Nun mache ich Ferien, setze mich mit meinen ungelesenen Büchern und merkwürdigen (Alp)träumen auseinander. Leider steht es nicht in meiner Macht zu verhindern, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Aber es gelingt mir einigen, die den Weg überstanden haben oder ihren Kindern dabei zu helfen, einen Beruf zu lernen. Das erschient mir viel zu wenig, doch wenn sie sich bei mir verabschieden, sagen sie, es sei viel – und in diesem Moment glaube ich ihnen und bin glücklich.

Dank an die Abteilungsleiterin

125. Pegasus: Freie Worte

Das neue Flügelpferd ist da. Weil wir am 3. Mai den internationalen Tag der Pressefreiheit begehen und sich dieses Jahr die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten zum 85. Male jährt, ist das ein wichtiges Thema. Es ist bei jungen Menschen hier nicht mehr so präsent – aber viele interessieren sich, wofür ich dankbar bin. Natürlich gibt es in der neuen Nummer noch anderes: Einer unserer Azubis hat zur Sinnfrage geschrieben und illustriert (S. 8), andere haben ein Biedermeier-Rätsel kreiert (S. 14) und eine Gruppe hat die Gedanken zur Grossmutter in Balladenform aufgeschrieben (S. 17). Ich freue mich über diese Ausgabe und hoffe wie jede Redaktion, sei sie noch so klein, viele andere auch.
Aus der Rubrik „In eigener Sache“:

Mit einer gedruckten Auflage von 400 Exemplaren und ca. 80 geöffneten PDFs gehören wir nicht zu den Meinungsmachern. Wir haben den Anspruch, neutral über die Buchbranche zu berichten und legen grossen Wert auf die Mitwirkung aller daran Beteiligten. Negative Entwicklungen im Bereich Berichterstattung und Meinungsfreiheit beschäftigen uns. Wenn wir können, beziehen wir Position. Ein Beispiel dafür ist der (Zer)Fall der sda/ats, zu dem wir oft twittern.
Die tragische Jahresbilanz der «Reporter ohne Grenzen» führt uns vor Augen, wie dankbar wir für die Demokratie und den Frieden im Lande sein können – beides ist nicht einfach Glück, sondern ein Ergebnis der Meinungs- und Pressefreiheit. 2017 sind weltweit mindestens 65 Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei ihrer Arbeit getötet worden, die Hälfte davon nicht einmal in bewaffneten Konflikten, sondern weil sie gezielt ermordet wurden. 326 Medienschaffende befanden sich Ende letzten Jahres ihres Berufes wegen in Haft und 54 sind als entführt registriert. Falls Sie am 3. Mai 2018, am internationalen Tag der Pressefreiheit, eine Aktion machen, schauen Sie für Neuigkeiten auf der Website vorbei.
Die Entwicklung im Internet hat nicht nur zu Gratiskultur und Datenmissbrauch geführt, sondern auch dazu, dass wir vergessen, was für ein hohes Gut unabhängige Information ist. Dass Information für uns von Profis beschafft, bewertet und aufbereitet wird und dass sie unter allen Umständen frei bleiben muss.
Diesen Text zu lesen dauerte für Sie als geübte Leserin, geübten Leser, eine Minute. Das war Ihre Schweigeminute für all jene, die dafür ihre Existenz riskieren oder gar ihr Leben geben.

30 Jahre Buchhandel: Kraft los

Vor dreissig Jahren unterschrieb ich meinen Lehrvertrag in der Münstergass-Buchhandlung. Ein denkwürdiger Moment meines Lebens und eine gute Tat an mir selber, die ich niemals bereute habe.

Kurz nach der Lehre in der Münstergass-Buchhandlung an der Hermes

Zugegeben, inzwischen bin ich müde. Der zurückgelegte Weg erscheint einerseits lang, gleichzeitig kommt es mir vor, als wäre ich auf der Stelle getreten, hätte mein ganze Berufsleben nichts anderes getan, als Abbau und irgendwo anders wieder Aufbau mit weniger von allem betrieben; beides unter Druck. Ich musste mich und andere Beteiligte sowie die Prozesse immer in grosser Eile anpassen. Angetrieben hat mich die Unabhängigkeit und Vielseitigkeit von Informationen, deren Verfügbarkeit und Verbreitung. Von meinem ersten Lehrlingslohn hab ich mir einen klitzekleinen Teil der WOZ erkauft, von einem meiner ersten echten Löhne eine Beteiligung an der cinématte und heute bin ich natürlich „Verlegerin“ #9824 bei der Republik und gute Kundin bei den Buchhandlungen im Netzwerk b-lesen.

Aber ist es denn wirklich so wichtig? Lohnt es diesen Kampf? Dreissig Jahre schaue ich bei Zerfall oder gar Zerstörung von Informationsstrukturen zu, die Basis der Demokratie sind. Heute beteiligte ich mich als Externe am Warnstreik bei der sda und muss sagen: Chapeau, die tun, was sie können! Sind schon gekündigt und doch hellwach bei der Sache. Aber ist es sinnvoll um etwas zu kämpfen, was so viele Leute gar nicht mehr wollen? Lohnt sich der Kraftakt, Menschen ohne Groll und Überheblichkeit zu erklären, dass ihre Infos echt nicht wie gewohnt aus „dem Internet“ kommen, wenn man die Schweizer Zeitung nicht mehr bezahlt, die SRG abschafft und die Depeschenagentur zu Tode spart?
Dass es wirklich keine Buchhandlungen mehr gibt, wenn man dort nichts kauft, auch nicht plötzlich vor Weihnachten, wenn’s dann so romantisch wäre? Bringt das überhaupt etwas? Diese Frage beschäftigt mich seit jeher und ich beantworte sie in der Regel mit einem enthusiastischen Ja. Denn das Neue, das Originelle, das Rettende: Es kommt auf leisen Sohlen. Es wächst in Gärten, die sorgfältig angelegt wurden, die jemandes Motivation und Stolz sind, für die sich jemand aufopfert.
Heute jedoch ist kein solcher Tag. Heute muss ich mehrmals „There but for Fortune“ hören, um mich morgen wieder aufzuraffen.
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