Provinz der Blogger

Überall gibt’s viele Blogger. Ausser in der Schweiz,

meinte Herr blog.ch heute Abend beim Bloggertreffen und hatte natürlich Recht damit. Über den inländischen Event-Faktor dürfen wir uns allerdings nicht beklagen. Die Swiss Blog Awards scheinen auf guten Wegen, Nominierungen heute morgen, Fiesta und Ehrung am 5.5. in Biel. Und ebenfalls morgen steigt die polit.blogKonf in Amriswil.
So sassen wir also draussen, die Herren Blattkritik, der Herr Pieceoplastic, der Herr habi, der Herr gutfeldt alias Herr blog.ch und ich.
Wir unterhielten uns, worüber sich Blogger eben unterhalten. Was Indikatoren sein könnten für gute Blogs, wie lesenswert wir welche persönlich finden. Über Aggregatoren und Rankings, den Sinn von Auszeichnungen, Blog-Maps, Domainnames und die Frage, was nach Blogs kommt.
Weil Sommerkleidung für Arbeitstage im Büro für After-Work-Abende im Freien zu kühl ist, brachen wir auf, ohne darüber entschieden zu haben, wer mit dem Fröstel-Blog oder wenigstens einer Fröstel-Kategorie anfängt.

Blog-Dialektik

Heute gibt’s Blogtalk mit Anke Gröner und ich lese da, weil ich gerne wissen wollte, ob sie immer noch die gleiche Einstellung zur Kommentarfunktion hat, aber das Mitlesen lohnt sich auch sonst.
Das Lamentieren über Auswüchse der „social software“ ist für mich Kulturgeschichte und ich liebe es vor allem, der Entwicklung von Definitionen beizuwohnen. Ist das dialogische Prinzip ein zwingender Bestandteil von Weblogs? Wenn nein, gehören Blogs noch zur „social software“? Spielerei, völlig unwichtig, weiss ich ja auch. Interessiert mich dennoch.
„Blogs!“ konnte ich 2004 entnehmen, dass Anke Kommentare erlaubt, weil sich sonst ihre Freunde beklagen, die gerne den „Quatsch lesen, den andere drunterschreiben.“ Mir hat das Buch zwar gut gefallen, ich habe es besprochen (für Besprechung Stichwort „Blogs!“ eingeben) und verkauft, aber nach der Lektüre rücksichtsvoll aufgehört, bei Anke zu kommentieren. Obwohl ich ihr seit Beginn der Blogozeitrechnung dankbar bin für ihre Filmbesprechungen, denn es gibt keine angenehmere und schöner geführte Datenbank für eine Buchhändlerin und Lehrerin, die selten ins U-Kino kommt.
Ankes Meinung zum Thema „Kommentierende“ hat sich nicht geändert, sie findet nach wie vor, Kommentare seien zu Lob oder Tadel ihrer Person da, sie brächten sie nicht weiter, sondern setzten sie unter Druck, ihre Schmerzgrenze sei eben niedrig und sie ergänzte schon mehrmals, es gebe jetzt genügend andere Seiten, „auf denen man ungestört rumpöbeln“ könne.
Darum wäre Anke Gröner heute ein repräsentatives Beispiel dafür, dass das dialogische Prinzip höchstens eine periphere Bedingung für ein Weblog ist. Und dass ich diesen aktuellen Stand einem Blogtalk entnehme, gehört zur alltäglichen Blog-Dialektik.

Suchbegriff-Sachen

Völlig überraschend ist Poesiealbum in den letzten Tagen zur Nummer eins der Suchbegriffe avanciert. Liebe Leute, mein Poesiealbum ist verschollen, begraben an unbekanntem Ort unter Bücherbergen. Ich kann nur dringend raten, der Kaltmamsell ihre wunderbare Sammlung zu besuchen; sie zeigt sich wieder einmal als begnadete Dokumentalistin zeitgenössischer Kulturgeschichte.
Da ich aus aktuellem Anlass vermehrt politisch gebloggt habe, wird hier auch in diesem Bereich mehr gesucht als gefunden. Dieses Weblog ist jedoch ein „Gemischtwarenladen“, wie der Herr Abendschein solche Blogs despektierlich nennt. Ich werde nicht zur Politbloggerin avancieren und es gelüstet mich auch nicht danach.
Ich empfehle lieber Neues von anderen. Erstens vom eDemokraten, der zum Bloggen in der Politik geschrieben und von mir einen (schrecklich ausführlichen) Kommentar geerntet hat. Zweitens von den Bissigen Liberalen, bei denen es erhellende Kommentare zu Platzeck-Rücktritt und -Nachfolge gibt. Für mich schliesst sich mit beiden Beiträgen der Kries um ein Thema, das mich häufig beschäftigt: Wie viel sollen Aktive offline, wie viel online investieren? Welcher (politische) Nutzen steht welchem (privaten) Schaden gegenüber? Ist eine der wenigen Schultern, auf der politische Basisarbeit lastet, online oder offline effizienter eingesetzt?
Und zuletzt noch dies: Nein! tanja.ch ist nicht zu verkaufen! Solange das Kind Essen, Kleider und Bücher hat, wird das so bleiben. Nein! Es ist mir ganz egal, wofür der Domainname gebraucht würde, er steht definitiv nicht zur Verfügung. Weder Prostituierten noch Konfirmandinnen. Danke für die Kenntnisnahme.

Wortköpfe

Digitale Literatur,
Hyperfiction,
Hyperliteratur,
Interfiction,
Internetliteratur,
Linkliteratur,
Literatur im Netz,
Netzkunst,
Netzliteratur,

der Begriff für literarisches Schaffen online sei noch zur Klärung offen, meinte Herr Abendschein in seinem Referat bei Buch am Mittag, und ich weiss nicht recht, ob ich dafür lange genug leben werde. Aber Schreiben im Netz am Beispiel literarischer Weblogs war eine gute Veranstaltung.
LITBLOGS ist ein Aggregator, der für einen guten Einblick ins literarische Netz-Schaffen sorgt. Herr taberna kritika und Herr Hanging Lydia haben damit angefangen. Inzwischen wird basisdemokratisch über die Aufnahme neuer Litbloggerinnen und Litblogger entschieden, was jedoch die Schwelle kaum gesenkt haben dürfte.
Diese LITBLOGS, andere Lit-Blogs und Drehbuchblogs sind die Fortsetzung einer Kunst, die mich schon als Kind fasziniert hat und zwar, weil mein Hirn mitspielen wollte. Was habe ich versucht, Fisches Nachtgesang nachzudichten, wie bin ich in einer alten Ausgabe von Gargantua et Pantagruel den Verhaltensregeln gefolgt, die typografisch immer wieder spitz auf ein Wort zuliefen und einmal – mitten im Originaltext – sogar auf ein deutsches „Trink!“. Ich vermisse dieses Buch, aber es hat nie mir gehört, sondern immer meiner Französischlehrerin.

[Das] wäre dann letzlich der Versuch in einer wesentlich reproduktiven Gesellschaft produktive Kräfte freizusetzen, nichts vorzuführen, was das Publikum nur nachvollziehen kann, sondern in einem Produkt mehrere Wege anzubieten, auf denen man in ganz verschiedener Weise spazierengehen und so ziemlich alles einsetzen kann, was den Aufnahmebereich des Menschen ausmacht: das Denken, das Lesen, das Sehen, das Spielen, Assoziieren, Kombinieren und das Fragestellen.

Ein Zitat unserer Tage, ein Zitat zur Netzliteratur? Nein. Es ist von 1979, da hat der Westfälische Kunstverein eine Sammlung mit dem Titel Sprachen jenseits von Dichtung heausgegeben. Und Klaus Peter Dencker hat’s über die Visuelle Poesie gesagt. Danach machte er die Wortköpfe, die Herr Hediger heute helfen könnten. Viel leicht.
Ein Ausschnitt aus einem von Herr Denckers Wortköpfen

Spieglein an der Wand, wer manifestiert wie im Land?

Es gibt bei uns auch gescheiterte Tischgespräche, die zu schnell und emotionell geführt werden und zuletzt angebissen liegen bleiben wie ein vergessener Apfel.
Zum Beispiel die „Krawallnacht in Bern.“ In dieser Sache teile ich die Meinung des Leserbriefschreibers Daniel Lüthi, während der Mann die Dachschäden Sachschäden der Chaoten derart satt hat, dass er neben jedes Schaufenster einen Soldaten Polizisten postieren möchte.
A propos meine Meinung: Mein Leserbrief ist mit der Begründung „keine Wahlempfehlungen“ abgelehnt worden. Dass durchaus solche publiziert wurden, hatte ich wohl geträumt. Loben von Artikeln klappt immer, Kritik ist schwieriger unterzubringen.
Schön ist hingegen, dass hierzulande die Feindschaft zwischen Blogs und News nur marginal gepflegt wird. Viele Journalistinnen und Journalisten bloggen schon lange, oft, witzig, gut und kritisch gegenüber der eigenen Zunft, die erst noch nett antwortet. Und in der Zeitung der comedia, in welcher sich Buch- und Pressemenschen organisieren, erscheint dank Daniel Bouhafs schon fast regelmässig etwas über Blogs, zum Beispiel in Nr. 3 vom März auf Seite 18 und Seite 19.
Die Schweiz ist in dieser Sache entweder harmoniebedürftiger als Deutschland oder einfach nur lockerer. Ausgerechnet jetzt, wo doch Harald Schmidt uns erklärt hat, die Schweizer würden jeden Reiz verlieren, wenn sie versuchten, locker zu sein. Wir probieren halt einfach es Bitzeli Entgegenkommen, weil wir einander morgen wieder im Tram begegnen.
Und wenn ich schon beim Thema bin, möchte ich mich für alle Fehler der letzten Tage hier entschuldigen. Version 2.02 von WordPress ist zwar gut, aber WYSIWYG ist nichts für mich, ich blogge wieder im alten Editor.
Bei nja.ch war ja eigentlich No-Design-Zone. Doch inzwischen ist die Standard-Wortpresse so verbreitet, dass ich eine minimale visuelle Identifizierbarkeit begrüsse. Und dazu passen meine Big Brothers and Sisters (watching me) am besten.
Herzlichen Dank dem Grafiker für die Umsetzung meiner Wünsche. Und herzlichen Dank dem Mann für die Trasformation. Besser gescheiterte Tischgespräche als gescheiterte Updates.

Was die Buchhänderlin nicht mag

Das ist, wenn Leute schreiben, ohne zu lesen. So ein Leut’ möcht ich nicht sein. Deshalb ist ein grosser Teil meiner wöchentlichen Blogzeit für das Lesen anderer Blogs reserviert. In Hundertschaften möchte ich sie verlinken, aber das würde inflationär und die Lesenden verlören die Lust, den Links zu folgen.
Sicher bin ich stolz, selber gelesen zu werden, aber ich bin ja nur ein Sandkorn der Blogosphäre und möchte so manchen Beitrag anderer der ganzen Welt ans Herz legen. Drum verleihe ich spontan fünf „First-Weekend-in-March-Awards“ an Leute, die gelesen werden sollten:

  • Vered spricht mir mit ihren Gedankengespinsten aus der Seele: Lesen ist Assoziieren. Keiner liest das Gleiche! Sie will ihre Gedanken zu Gedanken noch weiterspinnen, ich freue mich darauf.
  • Marian hat mit seinem Eintrag zu Google in China eine starke Quelle im Netz geschaffen. Und wie ich ihn kenne, wird er dran bleiben.
  • Karen ist Ökologin und Mäuseforscherin in Finnland, nur zufällig bin ich auf ihre wunderbare Berufsbeschreibung gestossen. Ökologie ist eben nicht mit Umweltschutz zu übersetzen.
  • Esther ist nicht nur in Sachen Asylpolitik vorne dabei, sie hat auch die GrenzgängerInnen zwischen den Geschlechtern erfunden und ich bin entzückt. Dass sie an anderer Stelle auch noch den Homo Oeconomicus rebootet, hat sehr zu meiner Unterhaltung beigetragen.
  • Von Juebe habe ich gelernt, dass die jüdische „Einheitsgemeinde“ Berlins clever verschiedene Glaubensgrade unter ein Dach bringt, indem sie einfach die Infrastruktur zur Verfügung stellt. Gut wäre, das würde auch anderen Religionen und Regionen gelingen.
    Von mir selber gibt es wieder etwas, wenn ich meine galoppierenden Gedanken im Stall habe. Im Moment würden sie nur durchbrennen, ich habe mich viel geärgert. Passend dazu zum Schluss noch Mareks Kurzgeschichte.
  • Sekundärblogging (mal wieder)

    Ich muss das zwischendurch, weil ich doch das Medium an sich einfach affentittengeil interessant finde. Heute die Folge „Unterschiede in der deutschsprachigen Blogosphäre“. Ein paradoxes Ansinnen im grenzenlosen Netz. Ich möchte – schweizerisch vorsichtig – warnen: es handelt sich hier um Pauschalurteile.
    Vor einigen Wochen (als gerade Jean Remy von Matt als neuer Exportartikel Jo Ackermann in der deutsche Blogosphäre abgelöst hatte), erreichte mich die Frage aus Deutschland, ob die Schweizer Blogosphäre denn wirklich so gesittet sei, wie es den Anschein mache?

    Habt Ihr denn überhaupt keine Blogs, wo blinder Islam-Hass verbreitet wird? Wo sich Liberale und Libertäre unflätig beschimpfen? Wo Leute so schreiben wie sie sprechen? Wo 14Jährige Fotos ihrer frisch geritzten Unterarme präsentieren? Wo seitenweise aufgeführt wird, welche Songs man gerade hört oder gleich noch hören wird? Wo genau beschrieben wird, wie man leider, leider eine Unterhaltung des Pöbels in öffentlichen Verkehrsmitteln ertragen musste, weil der Akku des iPods ausgefallen war?

    Seither versuche ich darauf zu achten und stelle fest, dass die Unterschiede zwischen den Blogosphären denen ausserhalb jener ähnlich sind: Deutsche sind krasser, aber auch eloquenter. Schweizer formulieren langweiliger, jedoch differenzierter. Die Kommentare in der Schweiz sind distanzierter, weniger persönlich. Auch das kennen die meisten schon aus dem Chat, wenn Deutsche ** knutsch** chatten, chatten Schweizer **?**
    Aber die Themen? Die sind doch ziemlich ähnlich, halt so wie der Alltag in dem Teil der Welt, wo sich kaum einer um die unteren Stufen der Bedürfnispyramide zu kümmern braucht. Und wenn doch, dann bloggt der nicht, denn Bloggen ist weiter oben.
    Was auf deutsche Leute in schweizer Blogs vielleicht besonders politisch wirkt, gehört für mich eventuell nur in die Kategorie „genervt über“ , und was mich in deutschen Blogs witzig dünkt, klingt für Einheimische bloss abgedroschen. Und vielleicht neigen wir auch einfach dazu, uns gegenseitig besonders internett zu idealisieren.
    Was ich in Helvetien gerade gut finde: Dass meistens in Blogkommentaren zum Thema des Eintrags diskutiert wird, dass man kaum Links nachjagen muss, weil jeder gerade selber auch etwas dazu schreibt. So bleiben Themen überschau- und archivierbar.
    Was ich für Helvetien gerade überdenkenswert fände: Dass unsere Blogverzeichnisse keine Sex-Blogs (auch nicht die guten Wortblogs) listen.
    Was ich in Helvetien gerade blöd finde: Dass es immer noch Journis gibt, die schreiben, Blogger würden nur von Bloggern gelesen.

    Überraschend ausgewogen,

    (und wie gewohnt mit ausreichend Selbstwert gesegnet), gibt sich DonAlphonso in der beliebten Blogs!-Kategorie «Blogs vs. Journalismus»:

    Es ist und bleibt eine spannende Frage, weil beide Systeme in Bewegung sind. Journalismus, zumal die papiergebundene Form, läuft in einen Strukturwechsel hinein, weil ihnen die Leser wegsterben. Die üblichen Agentur-Nachrichten sind im Netz omnipräsent und langfristig abrufbar, da werden Medien zwangsläufig Alleinstellungsmerkmale entwickeln müssen, um nicht austauschbar zu sein – und da lernt man auch von den Blogs. Auf der anderen Seite artikuliert sich in Blogs die Kritik an Medien und dem Spin ihrer Macher recht ungeschminkt und rau; brutaler jedenfalls, als es die Medien bislang in ihrer internen Debatte gewohnt sind.

    Aufs Ganze.